Männerstation
und hell. Daß ihr jemand widersprach, war ihr neu und zuwider, aber daß sich jemand auflehnte gegen sie, war, als habe man sie körperlich geschlagen. »Sie sind ein impertinentes, freches Ding!« rief sie. »Maßlos wie alle Ihrer Generation! Arbeiten, ohne den Kopf zu benutzen, Geld einstecken, indem man seine Stunden recht und schlecht abklappert. Merken Sie sich eins, Inge: die Grundbedingung unseres Berufes ist der Gehorsam!«
»Aber nicht der blinde Gehorsam! Ich weigere mich zu gehorchen, wenn es darum geht, einem Sterbenden einen frischen Kissenbezug vorzuenthalten.«
Sie standen sich gegenüber, mit sprühenden Augen, in denen der Haß lag: die junge, zorngerötete Schwester mit dem kleinen, weißen Häubchen auf den nußbraunen Locken – und die vor Erregung bleiche, in über dreißig Jahren Krankenhausdienst gereifte Ordensfrau, den schmalen Kopf in die Haube gepreßt, die nur das Oval ihres Gesichtes freiließ.
»Sie weigern sich also …«, sagte Schwester Angela leise.
»Ja! In diesem Falle ja!«
»Sie weigern sich immer, solange ich Sie kenne! Nur Schwierigkeiten habe ich mit Ihnen gehabt.«
»Das ist gelogen!«
Schwester Angela zuckte zusammen und schloß einen Moment die Augen. »Ich bin eine geweihte Person«, sagte sie kaum hörbar. »Und sie bezichtigen mich der Lüge. Das ist das Letzte. Gehen Sie … ich will Sie nicht mehr bei mir sehen … Gehen Sie … oder ich verlasse die Station und werde es vor meiner Oberin verantworten können.«
Inge zögerte einen Augenblick. Sie wollte noch etwas sagen, aber dann sah sie ein, daß es sinnlos war, gegen diese Wand der Abwehr anzurennen. Sie drehte sich um und verließ schnell die Teeküche. Ohne weiteres Zögern fuhr sie mit dem Fahrstuhl in den Privatstationstrakt und ließ sich bei Prof. Morus melden. Die Sekretärin schüttelte den Kopf.
»Der Chef will nicht gestört werden.«
»Aber es ist dringend.«
»Auch wenn der Kaiser von China käme, hat er gesagt, er hätte keine Zeit.«
»Dann rufen Sie zum Chef herein, nicht der Kaiser von China sei hier, sondern nur Schwester Inge von der Männerstation III.«
Die Sekretärin sah die kleine Schwester verwundert an. Sie begriff nicht, daß – wie allen im Hause – auch Inge Parth das Wort des Chefs über alles ging. Sie hob die Schultern und griff zum Telefon.
»Auf Ihre Verantwortung. Sie werden einen Anschiß bekommen, an dem Sie vierzehn Tage tragen.«
»Mir kann nichts mehr passieren«, sagte Inge fast trotzig. Die Sekretärin zog die Hand vom Hörer zurück.
»Mist gemacht? O Gott, dann halten Sie bloß den Mund. Das fehlt jetzt noch …«
»Bitte, melden Sie mich an!« rief Inge laut.
»Bitte – wenn Sie unbedingt ein Würmchen werden wollen. Ich meine es ja nur gut mit Ihnen.«
Sie rief zu Prof. Morus ins Arbeitszimmer hinein. Inge konnte seine Antwort im Telefon nicht verstehen, aber die Sekretärin hob wieder die Schulter.
»Sie sollen hereinkommen. Scheinen beim Chef ja eine Nummer zu haben.«
Prof. Morus saß hinter seinem riesigen Schreibtisch und sah Inge ernst an, als sie vor ihm stand, klein, ein wenig scheu, mit nervösen, unruhigen Fingern, die an der Schürze zupften.
»Was gibt's denn?« fragte er. Es sollte väterlich klingen, aber seine Stimme war trotzdem hart.
»Ich bitte um Entlassung aus meinem Arbeitsvertrag.«
»Sie auch?« Prof. Morus lehnte sich zurück. »Zu kleines Gehalt, zu wenig Freizeit, Ausnutzung der Arbeitskraft, mangelnde soziale Stellung, ungerechte Behandlung …«
»Ja«, sagte Inge.
»Was heißt ja?«
»Ungerechte Behandlung.«
»Wer ist Ihre Stationsschwester?«
»Schwester Angela.«
»Oje, das ist ein alter Besen. Aber eine gute Schwester.«
»Sie hat mich wie … wie ein Straßenkind ausgeschimpft, weil ich dem sterbenden Herrn Dormagen ein sauberes Kissen gegeben habe. Er hatte das andere beschmutzt … Schwester Angela schrie, da er sowieso sterbe, spiele es gar keine Rolle mehr. Ich halte das für menschenunwürdig, Herr Professor!« Sie atmete tief auf. Sie hatte die Worte hinausgesprudelt, nun empfand sie, daß der letzte Satz nicht dahin gehörte. »Verzeihen Sie, Herr Professor«, fügte sie leise hinzu.
Prof. Morus sah Schwester Inge durch seine Brillengläser fast beifallheischend an.
»Es gibt zwei Dinge, kleine Schwester«, sagte er, »die unser Leben bestimmen: einmal der gesunde Menschenverstand und zum anderen der Behördenverstand. Das ist überall so. Nun leben wir aber in Deutschland, und das besagt,
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