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Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm

Titel: Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wilhelm
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Kummer die Tränen in die Augen.
    »Seit du weggingst unter die Unsterblichen, dachte ich, wir würden uns in diesem Leben nicht mehr wiedersehen«, sagte sie. »Welch großes Glück, dass du nun doch wiedergekommen bist!«
    Noch ehe sie ausgeredet hatte, da kam die ganze Familie, Männer und Frauen, herbeigeströmt und begrüßten ihn in dichtem Gedränge draußen vor dem Saal.
    Die Frau deutete einzeln auf sie und sagte: »Das ist der und der, das ist die und die.«
    Als damals der Scholar verschwunden war, da hatte er nur ein winziges Knäblein hinterlassen, erst ein paar Jahre alt. Der war nun schon ein achtzigjähriger Greis. Er hatte in hohem Amt dem Reich gedient und sich bereits zur Altersruhe in die heimatlichen Gärten zurückgezogen. Enkel waren drei da, lauter berühmte Minister; Urenkel über zehn, von denen fünf die Doktorprüfung schon bestanden; Ururenkel über zwanzig, von denen der älteste nach wohlbestandener Magisterprüfung soeben erst zu Hause angekommen war. Die kleinen Kinder erst, die noch auf den Armen getragen wurden, waren ohne Zahl. Die Enkel, die im Amte auswärts waren, als sie hörten, dass ihr Ahn zurückgekommen sei, erbaten alle Urlaub und kamen heim. Die Enkelinnen, die in andere Familien verheiratet waren, kamen ebenfalls herbei. Da ward er hocherfreut und bereitete ein Familienmahl im Saale, und alle seine Nachkommen mit ihren Frauen und Männern saßen rings um ihn her. Er selbst aber und seine Frau saßen oben in der Mitte, die Frau weißhaarig, ein runzliges, altes Weiblein. Der Scholar aber hatte noch immer das Aussehen eines zwanzigjährigen Jünglings, so dass alle Jungen im Kreise umherblickten und lachten.
    Da sprach der Scholar: »Ich habe ein Mittel, das Alter zu vertreiben.«
    Damit nahm er den Zauberwein hervor und gab ihn seiner Frau zu trinken. Als sie drei Gläser getrunken hatte, da ward ihr weißes Haar allmählich wieder schwarz, die Runzeln glätteten sich, und sie saß an der Seite ihres Mannes stattlich als junge Frau. Da kamen der Sohn und die älteren Enkel herbei und verlangten alle von dem Wein zu trinken. Wer auch nur einen Tropfen davon bekam, der wurde aus einem Greise wieder zum Jüngling. Die Sache wurde ruchbar und kam bis vor den Kaiser. Der Kaiser wollte ihn an seinen Hof berufen. Er aber lehnte dankend ab. Doch sandte er ihm von dem Zauberweine zum Geschenk. Der Kaiser ward darüber hoch erfreut und verlieh ihm eine Ehrentafel, darauf geschrieben stand: »Gemeinsames Heim von fünf Geschlechtern.« Außerdem sandte er ihm drei Zeichen, die er mit seinem eigenen Pinsel geschrieben hatte:
    »Freude langen Lebens.«
    Dem anderen der beiden Scholaren, Yüan Dschau, war es nicht so gut gegangen. Als er nach Hause kam, da waren Weib und Kind längst gestorben, und seine Enkel und Urenkel waren meist unbrauchbare Menschen. So blieb er denn nicht lange, sondern kehrte in das Gebirge zurück. Liu Tschen aber weilte mehrere Jahre unter den Seinen; dann nahm er seine Frau mit sich und ging abermals in den Tiän Tai-Berg und ward nicht mehr gesehen.

34. Der Priester vom Lauschan
    Es war einmal ein Mann, namens Wang, ein Sohn einer alten Familie, der von Jugend an die Lehren des Taoismus hochschätzte. Er hörte, dass im Lauschan viele Unsterbliche lebten. So nahm er seine Bücherkiste auf den Rücken und wanderte dort hin. Als er einen Gipfel erstiegen hatte, erblickte er einen einsamen Tempel. Ein Taoist saß auf einem runden Strohkissen. Langes Haar fiel ihm über den Nacken herab.
    Er machte eine Verbeugung vor ihm und begann mit ihm zu reden. Seine Lehren schienen ihm tief und geheimnisvoll, darum bat er, ihn als Schüler anzunehmen.
    Der Taoist sprach: »Ich fürchte, du bist zu zart und verweichlicht, um harte Arbeit zu tun.« Er aber antwortete, er könne es wohl. Die Schüler des Alten waren sehr zahlreich. Als sie am Abend sich alle versammelt, begrüßte sie Wang nach feierlichem Brauch. Darauf ward er in das Kloster aufgenommen. Als der Morgen noch kühl war, rief ihn der Priester. Er gab ihm ein Beil und hieß ihn mit den anderen hinausgehen, um Reisig zu sammeln. Wang tat eifrig, wie ihm gesagt.
    Ein guter Monat war vergangen. Seine Hände und Füße waren voll Beulen und Schwielen. Er hielt es fast nicht mehr aus und erwog im Geheimen den Gedanken an die Rückkehr.
    Eines Abends kamen sie heim. Da sahen sie zwei Männer mit ihrem Meister beim Weine sitzen. Die Sonne war schon untergegangen, doch waren Lampen und Kerzen noch nicht

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