Märchen aus China - Vollständige Ausgabe mit Anmerkungen in der Übersetzung von Richard Wilhelm
Krüppels, der eben gestorben war, so dass von da ab der Meister dessen Äußeres an sich hatte.
Der siebente heißt Han Siang Dsï. Er war der Neffe des berühmten konfuzianischen Gelehrten Han Yü aus der Tang-Dynastie. Von frühester Jugend an pflegte er die Künste der unsterblichen Götter, verließ sein Haus und ward Taoist. Vom Großvater Lü wurde er erweckt und in die himmlische Welt erhoben. Er rettete einmal seinem Oheim das Leben. Dieser nämlich war vom Hofe vertrieben worden, weil er sich widersetzt hatte, als der Kaiser einen Buddhaknochen mit großem Pomp einholen ließ. Als er auf seiner Flucht über den blauen Pass kam, hatte tiefer Schnee die Wege ungangbar gemacht. Sein Pferd war in eine Schneegrube gefallen, und er selbst war nahe daran zu erfrieren. Da erschien ihm plötzlich Han Siang Dsï, half ihm und seinem Pferde heraus und brachte ihn sicher nach der nächsten Herberge am blauen Pass. Han Yü sang ein Gedicht, in dem die Zeilen vorkamen:
In Wolken liegt der Tsin Ling-Berg.
Wie ist die Heimat, ach, so weit!
Schnee türmt sich um den blauen Pass.
Wer gibt dem Pferde das Geleit?
Da fiel ihm plötzlich ein, dass vor mehreren Jahren Han Siang Dsï nach seinem Hause gekommen war, um ihm zum Geburtstag Glück zu wünschen. Bevor er weggegangen war, hatte er diese Zeilen auf ein Papier geschrieben. Der Oheim hatte sie betrachtet, ohne jedoch ihren Sinn zu verstehen. Nun sang er selbst unbewußt diese Zeilen in dem Liede, das sein Neffe gemacht hatte. Da sprach er seufzend zu Hang Siang Dsï: ,,Du bist wohl ein Unsterblicher, dass du also die Zukunft voraus wußtest?«
Dreimal auch hat er versucht, seine Frau zu erlösen. Als er nämlich von zu Hause weggezogen war, um des geheimen Sinns zu pflegen, da saß sie den ganzen Tag da und hatte Heimweh nach ihm. Han Siang Dsï wollte sie erlösen zur Unsterblichkeit; aber er fürchtete, dass sie nicht fähig sei. So erschien er ihr in mancherlei Gestalten, um sie zu versuchen, einmal als Bettler, ein andermal als wandernder Bettelmönch. Aber seine Frau kam nicht zur Besinnung. Endlich verwandelte er sich in einen lahmen Taoisten, der auf einer Matte saß, den Holzfisch schlug und vor dem Hause Sutren las.
Seine Frau aber sprach: »Mein Mann ist nicht zu Hause, ich kann dir nichts geben.«
Der Taoist erwiderte: ,,Ich will nicht dein Gold und Silber, ich will dich selber. Setz dich zu mir auf die Matte, dann fliegen wir in die Luft, und du siehst deinen Gatten wieder.«
Da wurde die Frau böse und schlug ihn mit dem Stock.
Hang Siang Dsï verwandelte sich in seine ursprüngliche Gestalt, trat auf eine leuchtende Wolke und stieg in die Höhe. Das Weib sah ihm nach und weinte laut; aber er blieb verschwunden. Die achte der Unsterblichen war ein Mädchen und hieß Ho Siän Gu. Sie war die Tochter eines Bauern. Ihre Stiefmutter behandelte sie hart; dennoch blieb sie ehrfurchtsvoll und fleißig. Sie liebte es, Almosen zu spenden; die Mutter aber hinderte sie daran. Doch sie ward niemals zornig, auch wenn sie von ihrer Mutter Schläge bekam. Sie hatte geschworen, sich nicht zu verheiraten, und schließlich wußte die Mutter nicht mehr, was sie mit ihr tun sollte. Eines Tages, als sie eben Reis kochte, da kam der Großvater Lü und erlöste sie. Sie hielt den Kochlöffel noch in der Hand, während sie in die Lüfte stieg. Sie ward im Himmel angestellt, um vor der südlichen Himmelstür die abgefallenen Blumen aufzukehren.
32. Die acht Unsterblichen II
Es war einmal ein armer Mann, der hatte schließlich gar kein Obdach mehr und keinen Bissen zu essen. Da legte er sich müde und matt draußen am Weg neben einem kleinen Feldgott-Tempelchen nieder und schlief ein. Da träumte ihm: Der alte weißbärtige Feldgott kam aus seinem Häuschen und sagte ihm: »Ich weiß dir eine Hilfe. Morgen kommen hier am Wege die acht Unsterblichen vorbei; vor denen wirf dich nieder und flehe sie an!«
Als der Mann erwachte, setzte er sich unter den großen Baum, der neben dem Feldgott-Tempelchen stand und wartete den ganzen Tag auf die Erfüllung des Traumes. Da endlich, als die Sonne schon nahe am Untergehen war, kamen acht Gestalten des Weges gegangen, dem Bettler deutlich als die acht Unsterblichen erkennbar. Sieben von ihnen eilten sehr schnell; aber einer mit einem lahmen Bein humpelte hinter den anderen her. Vor diesem — es war Li Tiä-Guai — warf sich der Mann auf den Boden.
Aber der Lahme wollte nichts von ihm wissen und hieß ihn fortgehen. Doch der Arme hörte
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