Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre
brauche von ihm nur einen Laut zu hören, und schon sehe ich, was es mit ihm auf sich hat.“
An der Tafel schauten sich die hohen Gäste bedeutsam an, während die Diener zu beiden Seiten sich fast krümmten vor Lachen. Nur Nieju sangbu behielt seine gelassene Miene, als der König seine großen Fähigkeiten zur Schau stellte. Dann sagte er verschmitzt: „Der König bellt weitaus besser als die Hunde!“
So hatte Nieju sangbu seine Wette gewonnen, und bald sprach man allerorts: „Zu Neujahr, als der König wie ein Hund bellte...“
An einem heißen Tag im Sommer forderte König Lidong seinen Hofnarren auf, ihn zum Baden an den Fluß zu begleiten. Der König legte seine Kleider ab, machte es sich auf weißen Kissen bequem und ließ sich von der Sonne bescheinen. Indessen vergnügte sich Nieju sangbu wie ein Fisch in den klaren Wellen. Da kam ihm plötzlich der Gedanke: Sagt nicht ein altes Sprichwort, wer einen Sterbenden nicht rettet, der muß selber sterben? Jetzt muß ich doch einmal sehen, was unser König für einer ist. Er schwamm bis in die Flußmitte, tat so, als ob ihn seine Kräfte verließen, und rief zum Ufer: „Herr König! Zieht mich schnell heraus! Ich gehe unter...!“
König Lidong aber machte keine Anstalten, seinen Hofnarren zu retten. Wenn er ersäuft, um so besser, dann spare ich das Futter für ihn, dachte er bei sich. Er blieb liegen, wo er lag, wedelte nur mit den Händen und Füßen in der Luft herum und rief: „So mußt du rudern! So mußt du rudern!“
Nieju sangbu warf einen flüchtigen Blick zum Ufer und wußte Bescheid. So ein stinkiger Kerl. Jetzt habe ich ihn durchschaut. Ein Tibetaner, der einen Sterbenden nicht rettet! Welche Schande!
Einige Tage später ging der König wieder an den Fluß, diesmal wollte er auch baden. Unversehens geriet er in eine starke Strömung, die ihn mitriß. In höchster Angst warf er die Arme hoch und schrie: „Nieju sangbu! Nieju sangbu! Hilfe! Hilfe! Rette mich!“
Nieju sangbu aber dachte gar nicht daran, sich zu erheben. Er äffte den König nur nach und fuchtelte mit Händen und Füßen in der Luft herum.
„So müßt Ihr rudern! So müßt Ihr rudern!“ rief er zurück, rekelte sich dann auf den herrschaftlichen Kissen und nahm eine Prise Schnupftabak. Erst als die Strudel König Lidong schon in die Tiefe ziehen wollten, sprang Nieju sangbu ins Wasser und zog den Hilflosen heraus. Kaum war der König wieder zu sich gekommen, polterte er los: „Halunke, warum bist du mir nicht schneller zu Hilfe geeilt?“
„Wollt Ihr mich foppen, großer König? Was Ihr mir unlängst beibrachtet, fand ich ausgezeichnet. Ich habe alles genauso gemacht, wie Ihr es mir vom Ufer aus zeigtet. Daher bin ich auch nicht untergegangen. Aber leider meint Ihr nun, daß dies keine Rettung gebracht hätte!“
Vor Wut konnte König Lidong kein Wort sagen. Aber nach ihrer Rückkehr rächte er sich an Nieju sangbu. Er ließ ihn wegen abgrundtiefer Eigensucht gefangensetzen.
Seine Haft verbüßte der Spaßmacher auf einem Hausdach, wo er die Tage damit zubrachte, gründlich auszuschlafen, falls nicht gerade die Sonne unbarmherzig auf ihn niederbrannte oder der Regen ihn peitschte.
Des öfteren pflegte König Lidong bei diesem hohen Steinhaus vorbeizugehen und am nahen Brunnen einen erfrischenden Trunk zu nehmen. Als Nieju sangbu eines Tages sah, wie der König unten vorbeischlenderte, warf er ein Stück Vogeldreck hinab, das genau in die Trinkschale fiel. König Lidong, der sich selbst vor einem herabfallenden Laubblatt fürchtete, erschrak sehr. Da er dies für ein böses Zeichen hielt, zitierte er seine Wahrsager herbei, die das schlimme Ereignis deuten sollten. Sie wollten nicht seinen Zorn heraufbeschwören und verschwiegen daher, daß nach ihrer Meinung ein Unglück bevorstünde. Ihre Ausflüchte und Redereien brachten den König nur in noch ärgere Bedrängnis. Schließlich entsann er sich seines Spaßmachers Nieju sangbu, der ihn früher oft recht gut beraten hatte. Also ließ er ihn von seinem luftigen Dachgefängnis herunterführen, um die Sache mit ihm zu besprechen.
Der gute Hofnarr stellte sich unwissend.
„Großer König! Was hat es zu bedeuten, daß Ihr einen solchen Sünder wie mich zu Euch ruft?“
„Nieju sangbu“, begann der König sogleich, „du weißt nicht, daß heute morgen, als ich zum Brunnen ging, ein Stück häßlichen Vogeldrecks in meine Trinkschale gefallen ist. Weil zu befürchten steht, daß ein schlimmes Ereignis naht, rief ich
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