Märchen, Der Falke unter dem Hut ab 9 Jahre
Specht: „Höre, liebe Schildkröte, du hast Zähne. Zernage die Lederriemen! Dazu wirst du mehrere Stunden brauchen. Ich will mich anstrengen und den Jäger von diesem Platz fernhalten. So können wir beide unserer Freundin das Leben retten.“
Die Schildkröte machte sich gleich an die Arbeit. Der Specht aber flog zum Haus des Jägers und wartete.
Lange bevor die Sonne aufging, trat der Jäger aus der Tür, griff nach Tasche und Jagdmesser und wollte in den Wald. Da schrie der Specht laut und schrill auf, schlug dem Jäger mit seiner großen Schwinge ins Gesicht und verschwand. „Weh mir!“ rief der Jäger. „Das bedeutet nichts Gutes. Ich werde noch nicht gehen und lieber weiterschlafen.“
Nach zwei Stunden, als die Sonne gerade die obersten Spitzen des Waldes erhellte, erhob sich der Jäger und verließ sein Haus durch die Hintertür. Aber wieder flog der Specht mit Gekreisch auf ihn zu und stieß ihm seinen Flügel ins Gesicht. Betroffen fuhr der Jäger zurück. „Wehe, was ist das für ein Unglücksvogel! Oder will er mich warnen?“ Er blieb eine Weile unschlüssig stehen. „Ich will doch noch ein wenig warten!“ So vergingen wiederum zwei Stunden. Dann aber hielt es ihn nicht länger, er griff zu Jagdmesser und Beutel und machte sich für den Waldgang fertig.
Da flog der Specht eilends zum Wald zurück und rief: „Bist du fertig, Schildkröte? Der Jäger kommt mit großen Schritten hierher.“
Die arme Schildkröte zitterte vor Anstrengung. Ihr Maul war blutig, die Zähne
schmerzten, denn sie hatte alle Riemen zernagt, bis auf einen. Doch jetzt konnte sie ihre Kauwerkzeuge nicht mehr bewegen. Da zerriß die Gazelle mit größter Anstrengung den letzten Lederriemen. Sie war frei. Doch es verblieb ihr keine Zeit für einen Dank. Alle drei hörten das Knacken im Gehölz, der Jäger kam heran.
Die Gazelle floh, der Specht flog auf den Baum, die Schildkröte war vor Schwäche liegengeblieben. Der Jäger steckte sie in seinen Beutel und hängte ihn an einen Ast. Dann fand er die zerrissene Schlinge und verfolgte die Blutspur der flüchtenden Gazelle. Doch die führte nur bis zum Teich und blieb dann verschwunden.
Ängstlich schrie der Specht vom Baum: „Zu Hilfe, liebe Gazelle!“
Die hörte den Ruf und lief in Deckung zurück zur Unglücksstelle. Der Specht zeigte ihr den Beutel, der an dem Baume hing. Jetzt wußte die Gazelle, daß ihre Lebensretterin, die tapfere Schildkröte, gefangen war. Schon kam der Jäger wieder heran, er hielt das blitzende Jagdmesser in der Hand und meinte, er brauche bloß zuzustechen. Doch die Gazelle machte einen großen Sprung, dann lief sie wieder langsam und tat, als sei sie verletzt und kraftlos.
So lockte sie den Jäger zuerst von der Schildkröte fort, dann aber kreuz und quer durch den Wald, immer weiter weg. Jedesmal wenn der Jäger glaubte, zustechen zu können, war sie ihm wieder entsprungen. Endlich, als sie hörte, wie er erschöpft keuchte, schlug sie einen Haken und lief in Windeseile zurück zu dem Baum, hob mit ihrem Horn den Sack in die Höhe und ließ ihn zur Erde fallen. Dann zerrte sie ihn bis zum Teich, riß ihn mit Horn und Huf auf und befreite die Schildkröte. Die glitt ins kühle Wasser und war gerettet. Die Gazelle floh eilends ins schützende Dickicht.
Als der Jäger nach geraumer Zeit zurückkam und seinen Beutel holen wollte, sah er ihn zerrissen und staubig am Teiche liegen. Leer!
Er schüttelte verwundert den Kopf und ging nachdenklich nach Hause.
Die Gazelle fand sich am Abend zur gewohnten Zeit wieder beim Teich ein und rief: „Euch beiden verdanke ich mein Leben. Ihr habt an mir gehandelt, wie man an einem Freund handeln soll!“
Die drei treuen Freunde hielten zusammen, solange sie lebten.
Ilse Korn
Der gute Mirali
Ein turkmenisches Märchen
Im Lande Turkmenien herrschten vorzeiten die Padischahs mit ihren Wesiren, und das Volk hatte unter ihnen bitter zu leiden. Besonders schlecht erging es ihm unter dem Sultan Sojun, der von einer großen Schar ungetreuer und falscher Ratgeber umgeben war, die nur an ihren eigenen Vorteil dachten. Niemand gelangte mit seinen Beschwerden oder Klagen vor den Herrscherthron.
Nun lebte damals der Dichter Mir Ali Schar Nawoi. Er war beim Volke sehr beliebt. Man erzählte sich noch Anekdoten und Schwänke von ihm, als er schon längst tot war. Alle nannten ihn den guten Mirali.
Mirali war arm, sein Mantel hundertfach geflickt. Lange überlegte er, wie er es anstellen könne,
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