Maerchen Fuer Kinder
mehr verlange ich nicht. Laßt uns nun Menschen sein! Du bist eine Dichterseele, wie sie es nennen, ich habe gründliche Kenntnisse und Witz, Du hast viele Gaben, aber keine Besonnenheit, steigst in diesen hohen Naturtönen hinauf, und deshalb wirst Du zugedeckt. Das bietet man mir nicht, nein, denn ich habe ihnen mehr gekostet! Ich mache Eindruck mit meinem Schnabel und kann mit ›Witz‹ schlagen. Nein, laßt uns nun Menschen sein!«
»O, mein warmes, blühendes Vaterland!« sang der Kanarienvogel. »Ich will Deine dunkelgrünen Bäume und Deine stillen Meerbusen besingen, wo die Zweige die klare Wasserfläche küssen, singen von dem Jubel aller meiner schimmernden Brüder und Schwestern, wo der Wüste Pflanzenquellen 1 wachsen!«
»Laß doch nur die traurigen Töne!« sagte der Papagei. »Sage etwas, worüber man lachen kann! Gelächter ist das Zeichen des höchsten geistigen Standpunktes. Sieh, ob ein Hund oder Pferd lachen kann; nein, weinen können sie, aber lachen, das ist allein dem Menschen gegeben. Ho, ho, ho!« lachte das Papchen, und fügte seinen Witz: »Laßt uns nun Menschen sein!« hinzu.
»Du kleiner, grauer Vogel,« sagte der Kanarienvogel, »Du bist auch Gefangener geworden, es ist sicher kalt in Deinen Wäldern, aber da ist doch Freiheit, fliege hinaus! Man hat vergessen Deinen Käfig zu schließen; das oberste Fenster steht offen. Fliege, fliege!«
Unwillkürlich gehorchte der Schreiber und flog aus dem Käfig; in demselben Augenblicke knarrte die halbgeöffnete Thür zum nächsten Zimmer, und geschmeidig mit grünen funkelnden Augen, schlich sich die Hauskatze herein und machte Jagd auf ihn. Der Kanarienvogel flatterte im Käfig, der Papagai schlug mit den Flügeln und rief: »Laßt uns nun Menschen sein!« Der Schreiber fühlte den tötlichsten Schreck und flog durch das Fenster, über die Häuser und Straßen davon, zuletzt mußte er etwas ausruhen. Das gegenüberliegende Haus hatte etwas Heimisches, ein Fenster stand offen, er flog hinein, es war sein eigenes Zimmer; er setzte sich auf den Tisch.
»Laßt uns nun Menschen sein!« sprach er unwillkürlich dem Papagei nach, und im selben Augenblick war er der Schreiber, aber er saß auf dem Tische.
»Gott bewahre mich!« sagte er, »wie bin ich hier herauf gekommen und eingeschlafen? Das war ein unruhiger Traum, den ich hatte. Dummes Zeug war doch die ganze Geschichte.«
Fußnoten
1 Kaktus.
VI. Das Beste, was die Galoschen brachten.
Am darauf folgenden Tage, in der frühen Morgenstunde, als der Schreiber noch im Bett lag, klopfte es an seine Thür, es war sein Nachbar in demselben Stockwerk, ein junger Theolog, der hereintrat.
»Leihe mir Deine Galoschen,« sagte er, »es ist so naß im Garten, aber die Sonne scheint herrlich, ich möchte eine Pfeife dort unten rauchen.«
Die Galoschen zog er an und war bald unten im Garten, welcher einen Pflaumen- und einen Apfelbaum enthielt. Selbst ein so kleiner Garten, wie dieser war, gilt in einer großen Stadt für eine Herrlichkeit.
Der Theolog wanderte im Gange auf und nieder; die Uhr war erst sechs; draußen von der Straße ertönte ein Posthorn.
»O, reisen! reisen!« rief er aus, »das ist doch das größte Glück in der Welt, das ist meiner Wünsche höchstes Ziel! Da würde diese Unruhe, die ich fühle, gestillt werden. Aber weit fort müßte es sein; ich möchte die herrliche Schweiz sehen, Italien bereisen und –«.
Ja, gut war es, daß die Galoschen sogleich wirkten, sonst wäre er gar zu weit herumgekommen, sowohl für sich selbst, wie für uns andere. Er reiste. Er war mitten in der Schweiz, aber mit acht andern in das Innere eines Wagens eingepackt; er hatte Kopfschmerzen, fühlte sich müde im Nacken und das Blut war ihm in die Füße hinabgesunken, die angeschwollen von den Stiefeln gedrückt wurden. Er befand sich in einem Zustande zwischen Schlafen und Wachen. In seiner Tasche zur Rechten hatte er den Wechsel, in seiner Tasche zur Linken den Paß, und in einem kleinen Lederbeutel auf der Brust einige festgenähte Goldstücke; jeder Traum verkündete, daß eines oder das andere dieser Kostbarkeiten verloren sei, und deshalb fuhr er wie im Fieber empor, und die erste Bewegung, welche die Hand machte, war ein Dreieck von der Rechten zur Linken und gegen die Brust hinauf, um zu fühlen, ob er seine Sachen habe oder nicht. Schirme, Stöcke und Hüte schaukelten im Netze über ihm und benahmen so ziemlich eine Aussicht, die wundervoll war; er schielte danach,
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