Märchen unter dem Wüsenhimmel
Alters. Ihr silbernes Haar war zu einer Frisur hochgesteckt, die an eine vergangene Ära erinnerte, doch ihr hellblaues Seidenkleid war modern, schmeichelnd und offensichtlich Haute Couture.
Im Gegensatz dazu trug Liana immer noch das schlichte, billige Kleid aus dem Kaufhaus, das sie am frühen Morgen angezogenhatte. „Der Palast ist wundervoll“, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln.
„Ich bin froh, dass Sie so denken. Es haben einige Modernisierungen stattgefunden, aber im Großen und Ganzen hat er sich nicht sehr verändert, seit ich als junge Braut hierher gebracht wurde.“ Fatima lächelte. „Sie müssen mir versprechen, mich im Harem zu besuchen. Dort ist es wundervoll und friedlich.“
Liana, die gerade in einen Keks gebissen hatte, verschluckte sich prompt und musste husten. „Harem?“
„Natürlich. Ich habe die Originalmosaike und die meisten Möbel darin belassen. Die Gärten sind so wunderschön wie früher, obwohl die meisten Papageien fort sind.“ Fatima nippte an ihrem Tee. „Um den Harem herum wurden immer Papageien gehalten, damit kein Mann die Frauenstimmen hören und versucht sein konnte, die Mauer zu erklimmen.“
„Ich verstehe“, sagte Liana, obwohl sie es nicht tat. „Dort werden also Frauen für die Prinzen gehalten?“ Mit großer Mühe verbarg sie ihren Abscheu. Sie hatte geglaubt, dass El Bahar ein modernes Land sei, aber offensichtlich war das ein Irrtum.
„Ich bin jetzt die einzige Bewohnerin des Harems“, entgegnete Fatima. Ihre Miene verriet, dass sie Lianas Gedanken kannte. „Der Harem, wie Sie ihn sich vorstellen, wurde etwa ein Jahr nach meiner Hochzeit abgeschafft. König Givon, mein Sohn, hat nie Frauen für sich dort gehalten, und die Prinzen auch nicht. Daher ist es manchmal ein bisschen einsam dort für eine alte Frau wie mich.“
Liana lachte unwillkürlich. „Ich bezweifle, dass irgendjemand Sie als alte Frau ansieht, Fatima. Sie sind viel zu elegant.“
„Danke, meine Liebe. Ich versuche mein Bestes. Aber jetzt erzählen Sie mir von Ihrer Beziehung zu meinem Enkelsohn. Ich habe verschiedene Gerüchte gehört und weiß nicht, welchem ich glauben soll.“
„Da gibt es nichts zu erzählen“, entgegnete Liana. Sie verdrängte den Gedanken an den soeben getauschten Kuss, der keinerlei Bedeutung hatte, und erklärte, wie es zu ihrer Anwesenheit im Palast gekommen war.
„Höchst faszinierend“, sinnierte Fatima. „Das sieht Malik gar nicht ähnlich. Normalerweise ist er sehr reserviert. Heather, seine Schwägerin, ist eigentlich die Einzige, die an ihn herankommt. Ich glaube, es liegt an ihrer Missachtung seiner Autorität und der Tatsache, dass sie ihn wie einen normalen Menschen behandelt.“
„Er ist ein normaler Mensch. Er hat außergewöhnliche Verantwortlichkeiten, aber dadurch ist er nicht weniger menschlich.“
Fatima nippte an ihrem Tee. „Wie interessant, dass Sie so denken. Die meisten seiner Bekannten würden Ihnen nicht zustimmen. Sie würden sagen, dass er uns übrigen sehr fern ist.“
Weil er sie wahrscheinlich nicht geküsst hat, dachte Liana. Nichts vermochte eine Frau mehr davon zu überzeugen, dass ein Mann ein gewöhnlicher Sterblicher war, als eine leidenschaftliche Umarmung.
„Und wie gefällt Ihnen das Leben in El Bahar“, erkundigte sich Fatima.
„Ich habe noch nie in einem Palast gewohnt. Es hat Vorzüge, aber auch gewisse Nachteile.“
„Sie und Ihre Tochter müssen mich im Harem zum Tee besuchen. Vielleicht am Samstag?“
„Das wäre schön“, erwiderte Liana höflich, obwohl sie sich fragte, ob sie am Samstag noch da sein würden.
Fatima lächelte sie ein. „Ich hoffe, dass Sie gut für meinen Enkelsohn sein werden. Er braucht das.“
„Weil er seine verstorbene Frau vermisst?“
Fatimas Miene verfinsterte sich. Sie erstarrte und stellte dann ihre Teetasse auf den Tisch. „Ich werde nicht über dieseFrau reden“, verkündete sie, während sie sich erhob. „Sie mag von königlichem Blut gewesen sein, aber sie war des Hauses Khan nicht würdig.“
„Es tut mir leid“, sagte Liana hastig. „Ich wollte nichts Anstößiges sagen.“
„Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Kind.“ Fatima lächelte verkrampft. „Obwohl Iman für meinen Geschmack nie tot genug sein kann, ist sie aus unserem Leben verschwunden, und wir können froh sein, sie los zu sein. Ich habe Ihre Gastfreundschaft lange genug strapaziert. Ich wünsche eine gute Nacht.“
Die Reichen und Königlichen sind wirklich anders,
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