Märchen unter dem Wüsenhimmel
deine Mutter“, rief er ihr in Erinnerung. „Sie hat dich sehr lieb. Bei ihr kommst du immer an erster Stelle.“
Bethanys Miene erhellte sich. „Das stimmt. Deswegen sind wir hier in El Bahar. Die Amerikanische Schule bezahlt ganz viel, und wir können für das College und ein Haus und so sparen. Ich möchte so gern ein Haus, das groß genug ist für ein Pferd.“
„Das müsste schon sehr groß sein. Und es dürfte keine Treppen haben, wenn du darin ein Pferd halten willst.“
Sie brach in Gelächter aus. „Man hält doch keine Pferde im Haus, Dumm kopf.“
„Aber das hast du doch gesagt. Ein Haus, das groß genug ist für ein Pferd.“
„Ich habe doch den Garten gemeint.“
Das Lachen vertrieb die Traurigkeit aus ihren Augen und ließ ihre Wangen glühen. In vielerlei Hinsicht erinnerte sie ihn an die Frau seines Bruders Jamal. Heather war für ihn wie eine Schwester. Sie neckte ihn bei jeder Gelegenheit und kümmerte sich nicht darum, dass er eines Tages El Bahar regieren würde.
Bethany war ebenso. Zum Teil lag es an ihrem zarten Alter. Kinder vergaßen rasch, dass sie beeindruckt sein sollten. Aber hauptsächlich lag es an ihrer überschäumenden Persönlichkeit.
„Lass uns bis zum Stall um die Wette reiten“, schlug sie vor. „Ich verspreche auch, nicht zu fallen und mir nichts zu brechen.“
„In Ordnung“, stimmte er zu.
„Ich habe wirklich nichts anzuziehen“, murmelte Liana niedergeschlagen. Fatima hatte sie zum Dinner im Kreis der Königsfamilie eingeladen, doch ihre beschränkte Garderobe hielt königlichen Maßstäben nicht stand.
„Du bist bestimmt trotzdem die hübscheste von allen“, versicherte Bethany, die ausgestreckt auf dem Bett lag. „Außerdem ist Prinz Malik echt cool. Er gefällt dir bestimmt.“
Im Gegensatz zu Bethany, die von kaum etwas anderem als Malik sprach, hatte Liana den Kronprinzen in den vergangenen drei Tagen kaum gesehen. Und nun sollte sie zum Dinner mit ihm und seiner Familie erscheinen. Zumindest hoffte sie, dass Malik anwesend sein würde. Sie wollte nicht mit zwei Prinzen, deren Frauen, einem König und einer Königmutter dinieren ohne die Anwesenheit des Mannes, der für ihren Aufenthalt im Palast verantwortlich war. „Das ist verrückt! Was tun wir hier eigentlich?“
„Du suchst ein Kleid“, erwiderte Bethany. „Zieh das blaue an, Mom. Das lässt deine Augen funkeln, und du willst dochhübsch sein für Prinz Malik.“
„Ja, nur dafür lebe ich“, murmelte sie sarkastisch, während sie in das Kleid schlüpfte, das seidig schimmerte und ihrer Figur schmeichelte.
Bethany musterte ihre Finger. „Kann ich meine Nägel lackieren?“
Die Frage war Liana sehr vertraut. „Nein.“
„Kann ich mich schminken?“
„Noch mal nein, Nervensäge.“
„Ach, Mommy, warum nicht? Kann ich nicht auch hübsch sein?“
„Du bist schon hübsch ohne all das. Wenn ich zulasse, dass du noch hübscher wirst, stichst du jede andere Frau aus, sodass wir alle versteinern und du allein übrig bleibst.“
Bethany lachte. „So hübsch bin ich gar nicht.“
„Doch, das bist du. Und klug. Und witzig. Wenn du sechzehn bist, werde ich dich in einen hohen Turm einsperren müssen, damit die Jungs dich nicht entführen.“
„Ich lasse dich nicht allein, Mommy. Nicht für einen albernen Jungen. Außerdem soll ich doch aufs College gehen, und das kann ich nicht in einem Turm.“
„Das stimmt.“ Liana zog sie an sich und genoss das vertraute Gefühl dünner Arme, die sie festhielten. Das waren die Augenblicke, an die sie sich erinnern würde, wenn Bethany erwachsen und aus dem Haus war.
Der König thronte an einem Ende des großen Esstisches und Fatima am anderen. Dora und Khalil hatten neben Malik Platz genommen, und gegenüber saßen Heather und Jamal neben Bethany und Liana. Zu Lianas Leidwesen waren alle sehr nett und behandelten sie, als wäre sie ein Mitglied oder zumindest eine enge Freundin der Familie.
„Ich habe das Gerücht gehört“, verkündete der König, „dassjemand an diesem Tisch Malik in einem Wettreiten besiegt hat.“
Bethany lachte. „Das war ich.“ Verschwörerisch senkte sie die Stimme. „Aber ich glaube, er hat mich gewinnen lassen. Er ist ein guter Reiter und sein Pferd ist schnell. Aber ich werde immer besser, und irgendwann schlage ich ihn wirklich.“
König Givon nickte anerkennend. „Wenn du hart daran arbeitest, schaffst du es bestimmt. Aber ich muss dich warnen, mein Sohn ist ein außerordentlich guter
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