Märchen unter dem Wüsenhimmel
Jahre alt. Ich selbst bin darin getraut worden.“
Dora blickte über die Schulter und musterte den Stoff im Spiegel. Die Tradition von El Bahar verlangte, dass jede Braut ein kleines Bildnis zu der Hochzeitsrobe beitrug, das für sie allein etwas versinnbildlichte. In der königlichen Familie wurde das Bildnis vom Bräutigam bestimmt und von einer weiblichen Verwandten gestickt. Fatima hatte mehrere Abende bis spät in die Nacht daran gearbeitet.
Sie berührte das kleine Abbild eines Baumes mit vielen Zweigen an Doras rechter Hüfte. „Das ist das Sinnbild meines Vaterlandes Bahania. Es wurde viel darüber diskutiert, welches Symbol für dich hinzugefügt werden sollte.“ Sie lachte. „Jamal hat ein Porträt von Elvis vorgeschlagen, während Malik die amerikanische Fahne bevorzugt hätte.“
„Und was hat Khalil ausgesucht?“
„Das hier.“ Fatima berührte eine kleine Blume in der Nähe des Saumes. „Das Symbol einer Wüstenrose. Aber er hat ausdrücklich verlangt, dass eines der Blätter so aussehen soll wie der Tatzenabdruck einer Wüstenkatze. Da es eine solche Kreatur nicht in unserem Land gibt, hielt ich es für eine sehr ungewöhnliche Forderung.“
Dora errötete. Sie dachte zurück an ihre Liebesnacht, als er sie zuerst mit einer Wüstenrose verglichen und dann seineWüstenkatze genannt hatte. „Sehr interessant“, murmelte sie mit gesenktem Blick.
Fatima küsste ihre Wange. „Hab keine Angst. Ich habe in deiner Zukunft gelesen. Du wirst stark sein müssen, aber wenn du deinem Herzen vertraust und auf dem rechten Weg bleibst, wird sich dein Herzenswunsch erfüllen.“ Damit befestigte sie den zarten weißen Schleier vor Doras unterer Gesichtshälfte und verließ den Raum.
Dora stand allein in den schützenden Mauern des Harems. Sie konnte kaum glauben, was ihr in dem vergangenen Monat widerfahren war. Ihr Leben hatte sich so drastisch verändert, dass ihr der Atem stockte. Sie drehte sich um und betrachtete sich im Spiegel. Statt der schüchternen, unscheinbaren Frau, die sie einen Monat zuvor gewesen war, erblickte sie ein exotisches, fremdes Wesen in vornehmer Kleidung.
Fest presste sie die mit Henna bemalten Hände zusammen. Ihr Herzenswunsch bestand darin, die wahre Liebe zu finden, Kinder zu bekommen und an der Seite ihres Mannes alt zu werden. Keine Reichtümer, keine Titel, keine Macht – nur eine liebevolle Ehe. War das zu viel verlangt?
„Sind Sie nervös?“
Dora drehte sich um und sah eine zierliche, dunkelhaarige Gestalt hinter sich stehen. Die schöne junge Frau trug ein glänzendes Kleid aus Gold und Weiß, das ihre Figur betonte. Ihr Gesicht wies vollkommene Züge auf, die Dora irgendwie bekannt vorkamen. Dann fiel es ihr wieder ein. Es war die Frau, mit der Khalil in der New Yorker Boutique gestritten hatte.
Sie trat zu Dora. „Mein Name ist Amber. Ich bin Khalils Verlobte.“ Sie schlug sich eine perfekt manikürte Hand mit langen roten Fingernägeln vor den Mund. „Oje, das war ein Versprecher. Ich hätte Exverlobte sagen sollen.“
Die schweren Seidenroben mochten Doras Gestalt verhüllen, doch sie wusste, dass sie mit ihrer birnenförmigen Figurnicht konkurrenzfähig war. Die schöne junge Amber verkörperte all das, was sie sich je gewünscht hatte. Wie hatte Khalil diesem Traum von Frau den Rücken kehren können?
„Haben Sie Ihre Zunge verschluckt?“, fragte Amber mit leiser, sinnlicher Stimme.
„Natürlich nicht. Es überrascht mich nur, Sie zu sehen.“
„Das kann ich mir denken.“ Amber ging um Dora herum.
„Oje, Sie sind gar nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Ich hatte gehofft, dass er sich zumindest eine aussucht, die mehr …“ Sie machte eine bedeutungsvolle Handbewegung.
Ihr langes, dichtes Haar war hochgesteckt und mit großen Diamanten geschmückt. Unwillkürlich berührte Dora ihr Diadem. Nun erst wurde ihr bewusst, dass Ambers Kleid ihrem eigenen ähnelte und nur aus dünnerem Stoff war, der ihren Körper umschmiegte. Ambers Aufmachung war entweder eine Verspottung oder eine Imitation des Brautgewandes. „Was wollen Sie hier?“
„Bei der Hochzeit? Ich bin die Tochter des Premierministers und eng mit der Familie befreundet. Das macht mich zu einem wichtigen Gast. Allerdings hatte ich erwartet, in anderer Funktion an der Hochzeit teilzunehmen. Es ist ein Desaster für uns alle. Natürlich muss ich mir selbst die Schuld geben. Wenn ich in New York nicht mit Khalil gestritten hätte, wäre alles anders gekommen.“
Sie hielt
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