Märchen unter dem Wüsenhimmel
Herrscher, der sowohl für seine Weisheit als auch für seine Geduld bekannt war. Sie hatte gehört, dass er auch grausam sein konnte, ihn jedoch nie von dieser Seite erlebt.
„Warum sprichst du von Arbeit?“, fragte er und legte die rechte Hand an ihre Wange. „Du bist doch gerade erst angekommen.“
„Ja, aber ich will arbeiten. Das ist mein Traum, seit ich ein kleines Kind war. Du hast es versprochen“, rief sie ihm in Erinnerung.
„Allerdings.“ Er zog die Augenbrauen zusammen. „Was habe ich mir bloß dabei gedacht?“
Heather seufzte, aber sie wusste es besser, als dem König zu schmeicheln. Außerdem waren weibliche Tricks nicht ihre Spezialität. Flirten lag ihr überhaupt nicht. Abgesehen von dem König und ihrem Großvater bedeuteten Männer für sie kaum mehr als ein Ärgernis.
„Du bist eine wundervolle junge Frau“, sagte der König. „Zu wundervoll, um dein Leben lang in dunklen Räumen eingesperrt zu sein.“
Flüchtig schloss sie die Augen. „Bitte fang nicht wieder mit dieser Predigt über Heirat an. Ich will nicht heiraten. Du hast mir versprochen, dass ich eine Stellung im Palast erhalte und die antiken Texte übersetzen darf, wenn ich in der Schule hart arbeite und dieses scheußliche Mädchenpensionat besuche. Du kannst dein Wort jetzt nicht brechen.“
König Givon schien noch größer zu werden. Er starrte sie so finster an, dass sie ihre Worte bereute. Buschige Augenbrauen zogen sich zusammen. Sie befürchtete, dass er sie anschreien würde. Doch obwohl die Aussicht nicht erfreulich war, schreckte sie nicht zurück. Ihr Großvater hatte sie zu einer echten McKinley erzogen, und das bedeutete, sich zu behaupten.
„Kleines Biest“, murmelte der König mit einem Seufzen. „Also gut. Du darfst an deinen kostbaren Texten arbeiten.“
„Es wird dir nicht leid tun“, versicherte sie hastig. „Es gibt so viel zu übersetzen. Wir müssen die Informationen schnell retten. Die Zeit und die Elemente haben das Papier bereits geschwächt. Ich will alles fotografieren und in einem Computer speichern. Wenn wir …“
Er hielt eine Hand hoch, um sie zum Schweigen zu bringen. „Erspar mir die technischen Details. Es ist ein ehrgeiziges Projekt, und ich bin sicher, dass du es hervorragend bewältigen wirst. Jetzt möchte ich erst einmal etwas anderes mit dir besprechen.“
Er ging zu dem Sofa und nahm Platz. Als er auf das Polster neben sich klopfte, tat sie wie geheißen und setzte sich neben ihn. Er nahm ihre Hand in seine. „Wie alt bist du jetzt?“
„Fünfundzwanzig.“
„So alt.“ Er nickte bedächtig. „Du hast nie geheiratet.“
Heather lachte und schüttelte dann den Kopf. „Natürlich nicht. Ich bin viel zu unabhängig, um als jemandes Ehefrau glücklich zu sein. Ich habe keine Lust, zu kochen und zu putzen. Vor allem weigere ich mich, meine Entscheidungen von jemand anderem treffen zu lassen, nur weil er ein Mann ist. Das ist lächerlich.“
Sie räusperte sich und entzog ihm sanft die Hand. Gewiss konnte er ihre Ansichten über sein Geschlecht nicht gutheißen. Er mochte sein Land erfolgreich in das neue Millennium geführt haben, aber er verkörperte in vielerlei Hinsicht die Essenz von El Bahar, und das bedeutete, dass seine Welt noch immer in der Vergangenheit verankert war.
„Ich wollte nicht respektlos sein“, versicherte sie hastig. „Du bist nicht wie andere Männer, und du würdest nicht …“
Erneut hob er eine Hand. „Ich verstehe. Du wurdest im Westen erzogen, was bedeutet, dass du über viele Dinge andere Ansichten hegst. Dein Großvater gestattete dir, meistens deine eigenen Entscheidungen zu treffen. Deine Ansichten über die Ehe sind nicht unerwartet.“ Er musterte sie flüchtig und blickte dann zur Terrassentür hinaus.
Heather folgte seinem Blick. Das tiefblaue arabische Meer erstreckte sich bis zum Horizont. Es war für sie der wundervollste Anblick. So perfekt, so himmlisch …
„Was ist mit Kindern?“, fragte der König. Sie blinzelte. „Kinder?“
„Wie willst du ohne einen Ehemann welche bekommen?“
Es gibt Dutzende von Möglichkeiten, dachte Heather, aber sie wusste, dass er nicht das meinte. Würde sie sich als ledige Mutter wohl fühlen? Nachdenklich strich sie sich über die Unterlippe. Sie war sich nicht sicher, ob sie die erforderliche Charakterstärke besaß. Aber sie wünschte sich Kinder. „Ich weiß es nicht“, gestand sie ein. „Ich habe eigentlich noch nicht darüber nachgedacht. Warum fragst du?“
„Ich
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