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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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hat er, und ich bin weise gegen ihn.«
    Es dunkelte, und sie wußte, daß ihr Vater wohl wartete. So zwang sie sich, den Umweg zu meiden, und stieg auf ihrer Seite des Grundes den Hügel hinauf.
    Darenna ließ sich nicht sehen, er war in seinen Laboratorien beschäftigt. Auf Leontines Schreibtisch lag ein Telegramm von Klinger, des Inhalts, er erwarte sie morgen am Zug nach Wien zum Abschiednehmen. Das Wort klang so traurig, daß das Mädchen gar nicht mehr richtig die Sonate von Muzio Clementi üben konnte, wie sie es sich vorgenommen hatte.

Leontine versteht Bahnhof
    Eine Lokomotive pfiff ohrenbetäubend, und Klinger schnitt eine Grimasse. »Was für ein Ort des Schreckens ist so ein Bahnhof!« versuchte er zu scherzen.
    Er stand mit Leontine am Ende der großen, von Rufen, Ansagen, dröhnenden Geräuschen erfüllten Halle, mitten im Taubenmist. Das Mädchen hatte ihre Tasche bei sich, sie mußte zum Zeichenunterricht und schwänzte zwei Vorlesungen.
    »Ich verstehe nicht, warum du mit der Bahn fährst«, sagte sie. »Du hast immer gefunden, daß es unbequem ist, sie hält ständig dort, wo man nicht hinwill, und kommt zu Zeiten an, wo man entweder noch nicht oder nicht mehr erwartet wird.«
    »Es hat sich so ergeben«, erwiderte der Sänger und vermied, sie anzusehen. Sie standen unglücklich voreinander, verwirrt von der Umgebung und dem Krach, bedrückt vom Abschied, auch wenn es nur einer für eine Woche war.
    Leontine war zunächst in Normans weit offene Arme geflogen und hatte den Kopf gegen seine Brust gedrückt, worauf er mit einem schmerzlichen Stöhnen zurückwich. Er habe sich ein bißchen verbrannt, entgegnete er auf ihre besorgte Frage, es sei nicht weiter schlimm. Dabei fuhr er sich mit der Hand übers Herz und biß sich auf die Lippen.
    Leontine wagte kaum, seine Hand zu halten. »Was ist mit dir?« drang sie in ihn. »Bin ich nicht bei dir, so stoße ich allenthalben auf Zeichen deiner Liebe, aber nah bist du fern, fremd, abwesend. Fehlt dir etwas?«
    »Wenn du da bist, fehlt mir nichts«, sagte er und ließ auch noch ihre Hand los. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen.
    »Norman!« rief das Mädchen. »Bist du krank?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bin nichts als ein launischer, überempfindlicher Star, dem Bahnhöfe nicht bekommen«, sagte er mit verzogenen Lippen. »Außerdem liebe ich es nicht, im Taubendreck zu stehen, und hier zieht’s. Ich habe drei große Partien nacheinander zu singen.«
    »Laß uns in diese Nische gehen«, schlug Leontine vor und griff nach seinem Koffer, um ihn umzustellen, aber mit einem Schreckensschrei ließ sie den Henkel los. »Das ist ja heiß wie eine Ofenklappe«, rief sie, »und so schwer - Norman, was hast du da drin?«
    »Heiße Ware«, entgegnete der Sänger und nahm schnell den Koffer auf. »Mein Löwenkind, du träumst. Der Henkel ist warm, weil die Sonne darauf geschienen hat, und drei Klavierauszüge haben nun mal ihr Gewicht.«
    Aus dem Gekreisch und Getön des Lautsprechers konnte man mit Mühe heraushören, daß in den Schnellzug nach Wien einzusteigen sei. Klinger behielt den Koffer gleich in der Hand. »Höre, mein Mädchen«, sagte er hastig, »auch wenn ich dir in nächster Zeit etwas seltsam vorkomme. Es hat sich nichts geändert.«
    Der Schaffner begann die Türen zu schließen.
    »Wann gehst du zu meinem Vater, wie du mir versprochen hast?«
    »Sobald ich Zeit habe«, erwiderte der Sänger knapp. »Lebe wohl, lieber Engel.« Er beugte sich vor und küßte Leontine leicht auf den Mund, wie es schien, mit großer Überwindung.
    Dann war er fort, und während sie noch stand und dem Zug nachsah, ließ eine der aufgescheuchten Tauben etwas auf ihre Schulter fallen. »Es soll Glück bringen«, sagte sie trübe.
    Um sie herum wurde gelacht.
    Bei Darenna trafen die ersten Meldungen bereits am nächsten Abend ein. Die Zeitungen aus aller Welt, die er zu beziehen pflegte, vor sich ausgebreitet auf dem großen Tisch mit der Glasplatte, fuhrwerkte er mit einem dicken Rotstift unter häufigem vergnügtem Räuspern herum, dann rief er Leontine, die im Nebenzimmer Klavier übte. »Ich habe da etwas für dich über diesen Herrn, der, wie ich höre, deine Sympathien hat.«
    Die Tochter flog herbei, nahm die Blätter zur Hand, in denen die Exzellenz mit säuberlich gezogenen roten Vierecken dies und jenes eingerahmt hatte, und wurde mal rot, mal blaß.
    Darenna beobachtete sie mit Genugtuung. Was er ihr zur Lektüre hingelegt hatte, waren die Klatsch- und

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