Märchen von den Hügeln
den Büschen vor ihm her trabte.
Klinger litt Höllenpein. Alles in ihm sehnte sich danach, das Mädchen in die Arme zu nehmen, aber in der Satteltasche saß Donna, und das Mal glühte. Von Zeit zu Zeit hob Leontine eine Hand und lüftete das Haar vom Nacken, um den kühlenden Wind an ihre Haut zu lassen. Beim Anblick ihres sanft gebogenen weißen Halses durchfuhr den Verliebten hinter ihr jedesmal ein feuriger Strom. Der Schimmel schnaubte und schüttelte die Mähne, die Unruhe des Reiters teilte sich auch dem Tier mit. Als sich der Pfad verbreiterte, überholte es den Braunen und schoß davon wie ein reißendes Wasser, Leontine vermochte nicht zu folgen.
»O Elb, Elb, Elb!« rief sie, ihr Pferd verhaltend. »Wann endet dieses unverständliche Wesen! Wann wirst du abtun, was ich nicht verstehe! Ach, die seltsamen Geheimnisse, in denen du steckst!« Sie ahnte nicht, daß sie mit ihrer Bitte, zu ihrem Vater zu gehn, all das heraufbeschworen hatte, worin sie nun beide verstrickt waren.
Von dem Reiter war nichts mehr zu sehen. Im goldenen Licht des beginnenden Herbstes leuchteten die ersten gelbroten Blätter im Moos und an den Bäumen, und ein würziger Geruch stieg vom Boden auf.
Und wirklich sah Leontine hier und da Gestalten zwischen den Birken, die sich bückten und in Körbe einheimsten, und blitzende Pilzmesser in den Händen warfen Sonnenreflexe in die Augen des Mädchens. Es packte sie die Lust, abzusteigen und es auch zu versuchen.
Ihr Pferd am Zügel führend, ging sie langsam durch das raschelnde Gras, den Blick am Boden. Nachdem sich ihre Augen gewöhnt hatten, Laub, Farn und Kraut vom anderen zu unterscheiden, fand sie alsbald ein Nest gelb leuchtender Pfifferlinge. Sie ging weiter und entdeckte die bräunlichen Kappen der Birkenpilze und den samtenen Lärchenröhrling, wurde vom Jagdfieber gepackt und zog immer weiter zwischen den Stämmen dahin.
Da sie kein Gefäß bei sich trug, um ihre Beute zu verstauen, zog sie die Jacke aus und knotete die Ärmel zu einer Art Bündel zusammen. Immer noch sah sie die anderen Pilzsucher zwischen den Bäumen, sie schienen weder näher zu kommen noch sich zu entfernen und wirkten eigentümlich fahl inmitten der kraftvollen Farben des frühherbstlichen Waldes, aber das Mädchen achtete nicht weiter darauf, so gefangen war sie von ihrer Beschäftigung. Bald hatte sie ihr improvisiertes Behältnis fast bis zum Rand gefüllt. Eine große Krause Glucke, die sie mit den bloßen Händen kaum vom schwarzen Waldboden abtrennen konnte, kam noch obenauf.
Ich will sie Klinger geben, dachte sie, er ißt Pilze für sein Leben gem. In unserem Haus wird dergleichen doch nur mit Mißtrauen betrachtet, oder der Vater läßt sie marinieren als Beigabe zum Wodka.
Sie lächelte und richtete sich auf.
Die Gegend kam ihr gänzlich fremd vor. Eine steil zerklüftete Felswand stieg unmittelbar neben ihr in die Höhe. Weiter hinten schien ein steiler Absturz zu sein, und der Wald hatte seinen lichten Charakter verloren. Anstelle der Lärchen, Birken und Buchen drängten sich hohe Tannen und schwarzstämmige Eichen dicht an dicht, und in der Ferne war ein Getöse wie von einem Wasserfall.
Leontines Brauner zerrte am Zügel, ihm schien es hier nicht zu behagen. Dem Mädchen fiel auf, daß das Pferd seine Hufe sehr vorsichtig aufsetzte, und sie sah nun auch, daß der Boden steinig war, voll großer Löcher, ungewiß, ob das Fuchsbauten waren oder Eingänge ins Innere des Berges.
»Norman!« rief sie laut, aber keine Antwort kam. Der Wald verschluckte den Schall, als sei er ein tiefes Wasser, und nur das Getöse in der Ferne nahm zu.
Nun erst fiel Leontine auf, daß kein einziger Pilzsammler mehr zu sehen war. Manchmal sah sie zwischen den Stämmen einen fahlen Schein oder ein kurzes Aufblitzen wie von den Messern der Sucher, aber wenn sie näher kam, versank alles, rutschte, so deuchte es ihr, weg in die Erdlöcher und war ein Rauch, ein Nebel, ein Sonnenblink.
»Es ist unheimlich hier«, murmelte sie erschauernd, »ich will umkehren.« Sie wendete ihr Pferd, aber wohin sie auch blickte, standen die Bäume ernst herum, als wollten sie den Braunen umzingeln. Der scheute und stieg am Zügel, und sie hatte ihre liebe Not, das Tier zu beruhigen. Noch immer drückte sie ihr Pilzbündel gegen die Brust.
Plötzlich sah sie doch wieder einen der Pilzsucher, es war eine alte Frau in grauer Jacke und mit tief in die Stirn gezogenem Kopftuch, die, einen geflochtenen Korb in der Hand, langsamen
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