Märchen von den Hügeln
aufschreien. Leontine war ihm hinterhergesprungen und hatte ihre nadelscharfen Zähne in sein Bein geschlagen, durchaus spielerisch, aber mit allem Übermut.
»Sie haben wirklich eine schöne Stimme!« sagte der Magier bewundernd und stieg in sein Auto.
Das Nest, das noch am gleichen Abend ankam, wirkte indessen Wunder auf das Gemüt des Löwenkindes. Es wurde sogleich beschnuppert und dann ohne Zögern angenommen. Mit sanftmütigem Katzenschnurren ließ sich Leontine darin nieder und wälzte sich rücklings auf den Schärpen. In diesem Bett ließ ihr Betragen nichts zu wünschen übrig. Kaum aber hob Klinger sie heraus, verwandelte sie sich in ein fauchendes Teufelchen, das seinem zärtlichen Pfleger manchen Prankenhieb und manchen Biß versetzte.
Leider mußten Magier und Elbenfürst feststellen, daß die Kleine bei unverminderter Munterkeit nicht recht gedieh. Die Flanken fielen ein, das Fell wurde struppig, die Knochen guckten hervor. Die beiden Männer wechselten die Diät des Löwenkindes, Klinger versuchte mit Gesang und Darenna mit Hypnose, die Freßlust zu stacheln, aber es verfing nicht.
Eines Abends, als der Sänger sorgenvoll auf der Terrasse saß, das Nest neben sich (Leontine nuckelte ihm am Daumen), hörte er im Garten tiefes Grollen und dumpfes Fauchen. Er erhob sich und ging in die Dunkelheit hinaus. Zwei riesige schwarzmähnige Löwen und eine nicht minder imposante Löwin kamen langsam auf ihn zu.
»Kommt«, sagte er leise, »und wenn ihr es vermögt, so helft. Sie ist euer, ich weiß, nur hergeliehen in diese Welt. Helft eurem Kind.« Langsam folgte er den drei gewaltigen Gestalten, die fauchend und brüllend auf die Terrasse sprangen, von wo ihnen das erwartungsvolle Maunzen des Löwenmädchens entgegendrang. In respektvollem Abstand sah er zu, wie Leontine unter Bewachung durch die beiden Löwenmänner von dem Weibchen gesäugt wurde.
Er erzählte Darenna kein Wort davon. Der Magier sah, wie die Kleine gedieh, und zu seiner Überraschung stellte er fest, daß sie mit großer Schnelligkeit zu wachsen begann. Zum Glück wurde sie dabei verständiger, denn sonst wäre vom Haus des Elben wohl nicht viel übriggeblieben.
Die Löwen kamen noch zweimal, nicht nur, um Leontine zu atzen, sondern auch, sie zu putzen, zu belecken und zu liebkosen. Dann wurden sie nicht mehr gesehen.
»Wenn sie so weiterwächst«, sagte Darenna eines Abends Anfang August (er kam jetzt häufig zu dem Elben zum Tee, um mit dem Tier zu spielen und über den Fortgang der Dinge zu reden), »müssen Sie Ihr Grundstück einzäunen lassen mit einem hohen Zaun. Sonst springt sie darüber.«
Klinger lachte. »Haben Sie schon einmal einen Elben gesehen, der sich und die Seinen einzäunt? Wenn sie bleibt, ist es gut, wenn sie geht, ist es ihr freier Wille.«
»Wie Sie meinen«, erwiderte Darenna achselzuckend.
Vierzehn Tage später rief Klinger an. Leontine war verschwunden.
Sie durchforschten die Gegend einen ganzen Tag im Umkreis, so weit eine halb ausgewachsene Löwin laufen kann, ließen die Motoren ihrer Wagen heißlaufen, krochen zu Fuß in alle Winkel, riefen, lockten - umsonst.
Als die Nacht hereinbrach, beschlossen sie endlich, die Suche abzubrechen.
»Wenn sie will, wird sie sich finden lassen«, sagte der Magier müde, »wenn nicht. . .«, er vollendete den Satz nicht.
Klinger ging zu Fuß nach Haus, die Luft war still und klar und der Himmel heiter und voller Sterne. Er achtete nicht auf seinen Weg, vertraut, wie seine Füße waren mit den Treppen, Stiegen und Wegen.
Plötzlich wurde die Luft um ihn warm, es raunte und rauschte, Wind fuhr durch die Baumkronen. Der Elb war in den Venusweg eingebogen, ohne es zu merken, und das vernarbte Mal auf seiner Brust begann zu schmerzen wie am ersten Tag.
»Leontine?« fragte er halblaut.
Das Mädchen lag quer über dem Weg, sanfter, ruhiger Atem hob und senkte ihre Brust. Das Haar fiel ihr in die Augen, sie war nackt.
Der Magier betrat das Zimmer mit dem Efeu und dem Moosteppich schnell. Vor Leontine, die, von Klingers dunklem Mantel bedeckt, am Boden lag, ging er in die Knie und schlug die Hände vors Gesicht.
»Sie schläft noch immer«, sagte der Elb leise.
»So eine Verwandlung muß viel Kraft kosten«, erwiderte der Magier. Er holte aus seiner Hosentasche ein Fläschchen und rieb mit der Flüssigkeit die Handgelenke des Mädchens. Opalisierende Tröpfchen spritzten nach allen Seiten.
Leontine regte sich, seufzte, schlug die Augen auf und sagte: »Mir ist
Weitere Kostenlose Bücher