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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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diesem Winter, auf dem erstarrten Moospolster und den vergilbten Gräsern des Fußbodens, als lege sich der Panzer der Kälte und Einsamkeit ebenfalls wie eine Steinschicht um sein Leben, und in den dunkelsten Stunden war ihm, als sei Leontine tot. Nur der ziehende Schmerz des Males der Liebe war seine Hoffnung.
    Als es Frühjahr wurde, schlief Donna immer noch, Klinger flog nach Japan, und einzig Darenna beräucherte mit ingrimmiger Hoffnungslosigkeit das Standbild seiner Tochter, als sei es eine Gottheit, der das tägliche Opfer zu bringen sei, gleich, ob es einen erhöre oder nicht.

Am Brunnquell der Güter
    Aber Leontine war nicht tot. Während das steinerne Bild an die Stelle ihres Leibes trat, fiel sie, fiel durch die Schichten der lebendigen Erde zum äußersten Grund des Gesteins, dahin, wo die Zeit nicht gezählt wird, durch Feuer und Wasser. Schwach drang an ihr Ohr das Geräusch der Welt, Singen und Weinen, Lachen, Lieben und Sterben und das Ächzen der Steine. Vielleicht wäre sie wirklich dort unten geblieben im Todesdunkel, aber etwas fing sie auf und verwandelte ihren Fall in ein sanftes Schweben, und als trüge sie eine Strömung, ward sie in eine Richtung gezogen, von wo goldgelber Schimmer durch die Finsternis drang und immer größer wurde.
    Weich abgesetzt, fand sie sich zunächst geblendet, ertaubt und verstummt, Atem schöpfend wie nach heftiger Anstrengung, die Augen noch brennend von den ungeweinten Tränen des vorigen Lebens, aber schon gestillt. Wie durch Watte, dann immer deutlicher, drang in ihre Ohren ein bekannter Klang: eine Sonate von Muzio Clementi.
    Der Fenstervorhang aus alter Spitze glitt zurück und gab die Öffnung frei, durch die sie eintrat.
    Die Mutter saß am Klavier, im Kerzenschein, die dunklen Augen auf die Noten gerichtet, ein Lächeln auf den blassen Lippen.
    Das Mädchen trat von hinten an sie heran und legte den Kopf auf diese schmale Schulter.
    Und die Mutter, da sie gerade mit der Linken einen schwierigen Lauf übte, hob die Rechte, um über das Haar des Mädchens zu streichen. »Du bist lange ausgeblieben«, sagte sie, bevor sie das Andante ma non troppo begann.
    »Ich erinnere mich, ich erinnere mich an dich, Mutter. Wir spielten vierhändig, nicht wahr? Und steinerne Löwen lagen vor unserer Gartentür. Das Haus war groß.«
    »Es war groß«, sagte die Mutter, »und wir froren darin, als es finster geworden war. Einst war ich der Ruhm dieser Stadt, so wie es jetzt der ist, den du liebst. Dann begannen sie mich zu vergessen aus Furcht vor der Dunkelheit. Ich war gebannt.«
    »Aber warum?«
    Die Mutter lächelte zart. »Die Finsternis braucht wenig Gründe dafür. Es genügte, daß mein Haar so am Kopf lag, wie du es hier siehst, und daß ich dunkle Augen hatte. - Ja, sie mieden mich aus Furcht. Aber sie hätten auch reden können, mich ganz zu verderben. Das taten sie nicht, eingedenk ihrer alten Liebe. Und so stand ein Wall von Schweigen um unseren Park und unser kaltes Haus ohne Brot und Wein. Das Schweigen war Schutz, und es war Einsamkeit. Weißt du noch, Leontine, wie wir gingen, du und ich, in der Dämmerung Holz zu suchen für unseren Kamin?«
    »Ja, Mutter. Es reichte gerade immer, uns die Hände zu wärmen für einen Satz.«
    »Es reichte für das Andante ma non troppo.«
    »Aber wir verbrannten die Bücher nicht.«
    »Nein, nicht die Bücher.«
    »Du lasest mir vor in die beginnende Dämmerung hinein, bis dir die Augen tränten.«
    »Sie tränten nicht nur deshalb, meine kleine Leontine.«
    »Wo sind die Bücher, Mutter?«
    Die Mutter lächelte. »In deinem Kopf, in deinem Herzen, in allen deinen Sinnen. Später, als alles brannte, brannten sie auch.«
    »Wir sammelten Pilze im Park, neben dem Holz.«
    »Ja, Kind. Wir sammelten die seltsamsten Arten, von denen es heißt, in ihnen sei nichts als Gift. Ich aß sie und hatte bunte Träume, und immer, wenn ich eine neue Sorte überstanden hatte, gab ich auch dir davon. Der Hunger tat nicht so weh.«
    Leontine ließ ihre Augen durch den großen Raum mit der Stuckdecke schweifen, von der ein vielfach glitzernder Kronleuchter hing, das Wachs der Kerzen tropfte. Von Wand zu Wand zogen sich, Girlanden gleich, Ketten getrockneter Pilze, zartviolette mit grünlichen Lamellen, rötliche, silbergrau geschuppte mit verdickten Knollen. Erdiger Geruch erfüllte den Raum.
    »Vielleicht begann damit schon deine Verwandlung, Leontine, mit den süßen Giften. Deine einzigen Spielgefährten waren die steinernen Löwen am

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