Märchen von den Hügeln
warm, ich will keine Decke.« Mit einem Fußtritt schleuderte sie den Mantel beiseite, sah erst Darenna, dann den Geliebten an, blickte an sich herunter und errötete dunkel. So vorsichtig, als sei sie aus Porzellan, bedeckte der Magier sie wieder mit dem Mantel. Dann nahm er Klinger beim Arm und zog ihn hinaus in den Garten. »Wir sollten keine Reden schwingen, sondern den Mund halten über unsere Torheiten und froh sein, daß wir sie wiederhaben«, sagte er, und seine Stimme klang knarriger denn je.
»Und sorgen, daß sie uns bleibt«, ergänzte der Sänger.
Eine Sternschnuppe fuhr in leuchtender Bahn durch die Finsternis des Alls.
»Keine Wünsche?« fragte Darenna und kicherte.
»Oh, doch«, sagte der Elb ernst, den Blick unverwandt auf den gestirnten Himmel gerichtet. »Daß unser Planet in dem Konzert des Himmels noch eine Weile seinen Part spielen möge, mit allem, was auf ihm lebt, und in aller Demut.«
Der Magier räusperte sich. »Ganz so einfältig, wie Sie mir vorkamen, sind Sie wohl doch nicht«, krächzte er.
Zu Beginn des Herbstes gab Klinger ein Konzert. Es erregte Aufsehen, mit welcher Zärtlichkeit er einem jungen Mädchen in der dritten Reihe (Löwenmähne und schräge graugrüne Augen) ein Lied zusang. Es endete mit der Strophe:
»Was kann ich machen,
Daß Venus’ Kind
Durch euer Lachen
Mich so entzündt.
Ich bin geboren
Zur Sterblichkeit
Und ganz verloren
Bei dieser Zeit.«
Am nächsten Abend ließ er sich bei Darenna melden.
Die Exzellenz empfing ihn in seinem inzwischen renovierten Observatorium bei Tee und Biskuits. Der Lehnsessel war fortgeräumt. Statt dessen stand auf einer kleinen, bemerkenswert verschnörkelten Konsole das Foto einer schönen Frau mit dunkel umrandeten Augen, viel Gold im Ohr und im Haar, Perlen um den Hals.
Klinger trat heran und musterte das Bild nachdenklich. »Sie erlauben, Exzellenz . .. Irgendwie kommt mir die Dame bekannt vor.«
»Das will ich glauben«, knarrte Darenna. »Meine Protegee, die begabte und hoffnungsvolle Nachwuchspianistin Iguanadonna Saurischia, gibt in einem Monat ihr erstes Konzert. Sie läßt Sie herzlich einladen.«
»Da hat mein Echslein Karriere gemacht!« rief der Sänger lachend. »Was spielt sie denn?«
»Rachmaninow.«
»Damals war sie schrecklich. Laut und schnell. Und jetzt?«
»Wieso schrecklich? Sie ist noch lauter und noch schneller geworden.«
»Ich glaube, ich bin den Abend verhindert«, sagte Klinger. »Rosen werde ich ihr schicken und eine schöne Brosche mit Rubinen.«
»Tun Sie das, Verehrtester. Sie sind es ihr irgendwie schuldig. Aber was führt Sie zu mir?«
Der andere trat zurück und beugte feierlich das Knie. »Exzellenz Darenna, Herr Feuersalamander und Hoher Magier, ich bitte Sie um die Hand Ihrer Tochter Leontine.«
»Verehrter..., wie war doch gleich Ihr Name beim Schönen Volk? Glorion Ingildor? Gildor Inglorion? Und der Beiname?«
»Ich weiß im Moment nicht so recht«, sagte der andere und erhob sich mit leicht verwirrtem Gesichtsausdruck. »Vielleicht sollten wir es bei Norman Klinger belassen?«
»Das ist Ihre Sache«, quäkte Darenna. »Meine Tochter Leontine . . .«
In dem Augenblick entfuhr dem Sänger ein ärgerlicher Ausruf. Er starrte auf die Spitzen seiner weichen hellen Schuhe, die von Schmutz verkrustet waren. »Ich verstehe das nicht! Ein bißchen Dreck im Garten, und schon sehe ich aus wie ... Früher sank ich nie so tief ein. - Entschuldigen Sie«, sagte er beschämt, »ich habe Sie unterbrochen.«
»Meine Tochter Leontine«, setzte der alte Mann erneut an, dann winkte er ab. »Wir können uns das eigentlich sparen. Es ist ja alles klar. Eine Tasse Tee?«
»Gern«, sagte der Sänger, »indessen hätte ich noch eine Bitte. Darf ich einmal die Apparatur Ihres Observatoriums benutzen? Ich habe Sehnsucht nach einem Blick auf den gestirnten Himmel.«
»Nanu?« fragte der andere verwundert. »Schauten Sie nicht die Tänze der Planeten mit bloßem Auge klarer als ich durch alle meine Brillen und Rohre?«
»Vorbei«, murmelte Klinger.
Darenna machte eine ironisch-einladende Bewegung zu den Ferngläsern hin. »Bedienen Sie sich, Norman. Aber passen Sie auf, daß Sie nicht eine alte Straßenlaterne als einen neuen Stern anvisieren!«
Miriam Margraf
Sonnenaufgänge
1. Teil
Zur Zeit der Großen Dunkelheit, als noch kein menschliches Wesen lebte, zog das Volk der Erstgeborenen heimatlos umher und ging im Zwielicht, das unter dem dichten Wolkenmantel herrschte, der die
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