Märchen von den Hügeln
Erde hüllte. Es war sehr kalt. Weil die Elben ziellos wanderten, geschah es, daß ihr Pfad sie immer weiter nach Norden führte, dorthin, wo die grimmigen Fröste plötzlich und mit jäher Gewalt einbrechen.
So kam es, daß ein Schneesturm die Wanderer überraschte. Er löste die Verankerung der leichten, beweglichen Elbenhäuser und trug viele mit sich fort; was er ließ, zerfetzte er, deckte das Lager mit Eis und Schnee.
Die Elben drängten sich dicht zusammen. Sie weinten und klagten sehr. Wenn sie auch nicht erfrieren konnten, da sie unsterblich waren, so fühlten doch ihre empfindlichen Sinne um so mehr die scharfen Schmerzen, die der Frost ihnen zufügte. Zudem überlebten nur wenige ihrer Pferde den Kälteeinbruch, und die Elben mußten den Weg ohne sie fortsetzen. Müde, unglücklich und allein auf die Schnelligkeit der eigenen Füße angewiesen, machten sie sich auf die Suche nach wärmeren Gefilden, obwohl sie nicht einmal wußten, in welche Richtung sie ihren Schritt lenken mußten.
Traurige Lieder kamen ihnen auf die Lippen, und vielleicht hätten sie aufgegeben; dann wäre keine Kunde vom Schönen Volk bis in unsere Tage gedrungen. Doch eine ihrer Fürstinnen, Aina-Aglar, sang von der Hoffnung: Ein großes Licht werde aufgehen, bald sollte der Dunkelheit ein Ende bereitet sein. In ihrem Lied prophezeite die Elbin der Kunst eines seltsamen kleinen Volkes die große Stunde. Jenes Licht nannte sie die Sonne.
Lautlos eilten die Elbenschuhe über den Schnee. Wohl mußte die Elbin eine so flinke Gangart anschlagen, denn ihre Stiefelchen aus weichem, dünnem Leder roter und gelber Farbe waren viel zu leicht für eine Wanderung im winterlichen Hochwald.
Aina-Aglar lief schon seit Tagen unermüdlich. Kaum daß sie ein wenig an den Lembas knabberte, den berühmten Elbenwaffeln, die jede andere Nahrung ersetzen. Manchmal schlief sie, in Felle gehüllt, zusammengekrümmt unter einer Tanne. Doch solcherart Ruhe brachte ihr kaum Erholung, denn nach wenigen Stunden erwachte sie halb ohnmächtig vom Biß des Frostes.
Allein war die Kälte kaum mehr zu ertragen. Solange man in Gruppen wanderte, konnte man sich zum Schlafen aneinanderschmiegen und Felle darüberbreiten. Auch hatten die Elben einige Pferde, die ihnen geblieben waren, mit den Fetzen der großen, warmen Tuche bepackt, mit denen sie vordem die Gerüste ihrer Zelthäuser bespannt hatten. Die Stoffe vermochten am ehesten vor den Unbilden der Witterung und der Eiseskälte, die aus dem Boden aufstieg, zu schützen. Nun aber hatte Aina-Aglar nichts mehr als die beiden Pelze, die sie um die Schultern trug.
Sie hatte gewußt, daß es unsinnig gewesen wäre, ihr geliebtes, trauriges Volk zur Suche nach den Zwergen anzutreiben, denn der Weg hier im Gebirge war beschwerlich, für die Pferde kaum passierbar und führte zudem allem Anschein nach in immer kältere Regionen.
Die Elbin verfügte über die Gabe der Voraussicht in dem Maße, wie es alle Großen der Erstgeborenen tun. Hin und wieder kommt sie ihnen abhanden, oder sie vergessen sie. Auch ist sie nicht solcherart, daß man mit ihrer Hilfe die Zukunft sehen könnte. Doch verleiht sie die Fähigkeit, in Zeiten der Not vorausschauend zu handeln, mit einem Grad von Weisheit, der den Elben sonst fern. Fast unbewußt ist ihnen ihr Handeln dann, als gehorchten sie kaum noch dem eigenen Willen.
So folgte auch Aina-Aglar jetzt einer Berufung, indem sie das hilfreiche Volk der Zwerge aufsuchte. Sie tat es, ohne nachzudenken, denn eine innere Gewißheit ließ sie spüren, daß dieser Weg der rechte sein mußte.
Sie erreichte einen Bergkamm. Hinabblickend sah sie zu ihrer Linken die dunkle Masse des Waldes, der sich in die Dämmerung hinausstreckte. Rechter Hand aber, dort, wo sie ihr Ziel vermutete, senkte sich das Land sanft einem Flußbett entgegen. Im Stromtal mußte es wärmer sein, denn man konnte Wasser blinken sehen, auf dessen Oberfläche die Eisschollen einem fernen Meer zutrieben.
Obgleich die Kälte sie quälte, konnte sich Aina-Aglar an dem Bild erfreuen. Hoffnung erfüllte sie beim Anblick der mit weichem Schnee bedeckten Hügel, und sie ahnte, daß ihre Suche bald beendet sei.
Zuversichtlich lief sie, leichten Schrittes keine Spur hinterlassend, hinab ins Hügelland. Schon lichtete sich der ernste Nadelwald. Birken, Eichen, Buchen und schließlich auch die empfindliche Kastanie säumten den Weg der Elbin. Wenn auch ihre Äste zu dieser Jahreszeit kahl waren, zeigte sie doch an, daß hier mildere
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