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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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Wald zu gehen. »Zum Abendessen sind wir zurück!« rief Norman, die Geschwister an der Hand packend. Es klang wie eine Drohung. Im Laufschritt machten sie sich auf.
    Die beiden Frauen sahen sich erschöpft an. Plötzlich schloß Donna die andere lächelnd in die Arme. »Du hast Rührei im Haar«, flüsterte sie zärtlich. »So habe ich mir schon immer eine Erste Sängerin vorgestellt.«
    Leontine fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Mähne -es stimmte. Überhaupt fiel ihr plötzlich auf, daß sie in ihrem verwaschenen Jersey, den mit Lederflecken besetzten Reithosen und den derben Stiefeln denkbar ungünstig abstach gegen die schöne Echse, die ihre Küche so elegant verließ, als käme sie gerade vom Putztisch, die geschmeidigen Hüften gegürtet mit modischem Klimperkram, das Haar zu goldbesetztem Kamm hochfrisiert.
    Sie müsse nun auch ihr Pferd suchen, murmelte sie eilig und verschwand ohne Gruß. Donna sah ihr nach und fuhr sich kurz mit der Zunge über die Lippen. Offenbar wäre sie gern noch eine kleine Bosheit losgeworden, aber Leontine hätte sie nicht mehr gehört. Die roten Locken der Kinder waren schon im Waldesdunkel verschwunden.
    Kaum hatten der dunkle Tann und das Farngestrüpp Norman, Maggy und Rico aufgenommen, so fiel alles Laute und Schrille von ihnen ab. Sie ließen einander los und streiften sachte, mit wachen, leuchtenden Augen durch den Wald, rechts und links spähend und mucksmäuschenstill. Es war offensichtlich, daß sie nicht nach einem herumtapsenden Pferd Ausschau hielten.
    Ein jäher, leichter Sommerregen setzte ein. Mit feinem Rieseln fielen die Tropfen nieder, erreichten nur an wenigen Stellen den Boden. Die Kinder kamen an eine Lichtung, die von einer hohen Felswand begrenzt wurde. Als nun plötzlich die Sonne hervorbrach, glitzerten die Regenschnüre wie ein silberner Vorhang.
    »Da!« hauchte Maggy. Mit angehaltenem Atem standen die drei still. Hinter dem Regenschleier, im Glanz des Lichts stand vorm Grau der Felsen ein weißes, zierliches Tier und hob aufmerksam den Kopf, um zu ihnen hinüberzuspähen. Maggy streckte die Hände aus, ohne hinzusehen. Die Geschwister ergriffen sie, als hätten sie diese Bewegung hundertmal geübt. Wie in einem Reigentanz schritten sie langsam über die Lichtung.
    Plötzlich verhielt das Mädchen den Schritt und ließ die Hände der Geschwister los. Enttäuschung malte sich auf ihren Zügen. Das Tier verhoffte in silbrigem Glanz, machte einen Sprung und eilte in großen Fluchten ins Waldesdunkel. Gleichzeitig hörte man von rückwärts eine rauhe männliche Stimme, die die Kinder

    unwirsch anfuhr: »Was habt ihr hier den Wildbestand aufzustöbern? Das ist Naturschutzgebiet! Holzschein? Beerenschein? Jagdschein?«
    Die Kinder drehten sich aufreizend langsam um. Ein kleiner, braungebrannter Alter in vielfach geflickten Sachen stand barfüßig da und betrachtete die drei augenzwinkernd, was ihm den Anschein geheimen Einverständnisses verlieh.
    »Gott, Opa«, sagte Norman und steckte die Hände in die Taschen, »was soll der Aufriß? Wozu brauchen wir Scheine? Wir suchen nur ’n Pferd.«
    »Pferde gibt’s hier nicht seit dreitausend Jahren«, gab der kleine Alte zurück ohne ein Anzeichen von Verwunderung, und die Kinder nahmen ihrerseits diese Zeitangabe ohne jedes Erstaunen auf.
    »Es soll auch bloß ein Verirrtes sein«, entschuldigte Maggy.
    Der Mann blieb mißtrauisch. »Auch verirrte Pferde gibt’s hier keine«, entgegnete er und sah die drei der Reihe nach scharf an. »Ich denke mir, daß ihr eigentlich was ganz anderes sucht.« Der kleine Rico errötete. Der Alte nickte grimmig. »Ist es vielleicht -ein weißer Hirsch?« fragte er lauernd.
    Zu seinem Befremden brachen die drei in prustendes Gelächter aus. »Ein weißer Hirsch!« wiederholte der Älteste verächtlich. »Du liebe Zeit! Was gehn uns denn weiße Hirsche an? Die laufen doch hier rum wie anderswo die Hasen!«
    »Eben war gerade einer da auf der Lichtung«, ergänzte das Mädchen und schüttelte seine roten Locken.
    »Ein weißer Hirsch? Was sollen wir denn damit?« fragte der Jüngste entwaffnend.
    Der Mann blickte unmutig und scharrte mit seinen nackten Füßen den Waldboden, als sei er ein Tier. »Ich glaube euch kein Wort«, knurrte er. »Ihr seid eine ganz ausgekochte Bande. Eure Namen werde ich aufschreiben, für alle Fälle.« Er begann in seinen unzähligen Taschen nach Papier und Stift zu kramen und förderte dies und das zutage, unter anderem auch ein großes

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