Märchenkranz für Kinder - Märchen der Welt ; 67
nicht müde war, schlief er auch nicht ein. Da sah er, als es schon Mitternacht geworden war, beim Mondschein einen Vogel durch die Luft daherrauschen, der schimmerte wie lauter Edelgestein. Als der Vogel nun eben einen Apfel abpicken wollte, nahm der jüngste Gärtnerssohn seine Armbrust, und schoß einen Bolzen auf den Vogel. Der Bolzen traf den Vogel nicht recht, sondern schoß ihm nur eine Feder aus, die nahm er auf, und überbrachte sie am Morgen dem König.
Der König aber war sehr erstaunt, als er von dem wunderschönen Vogel hörte, und betrachtete die Feder, und hielt sie gegen die Sonne, und fand bald, daß sie von großem Werthe seyn müsse. Je mehr er aber die Feder betrachtete, desto größer ward auch seine Begierde, den ganzen Vogel zu besitzen, und er sann hin und her, wie er ihn wohl erhalten könne. Niemand aber wußte, wo der Vogel zu finden sey.
Da erbot sich der älteste Sohn des Gärtners, den Goldvogel aufzusuchen, und begab sich auf den Weg. Er kam bis an einen Wald, und sah an dessen Rande einen Fuchs sitzen. »Dich will ich belauern!« dachte er, nahm seine Armbrust, und legte den Bolzen darauf.
»Schieß nicht auf mich,« sagte der Fuchs; »ich weiß, wohin du gedenkst, und will dir guten Rath geben, den goldenen Vogel zu bekommen.« Aber der Gärtnerssohn dachte: Was will dir ein so unvernünftiges Thier rathen. Er nahm also den Bogen, und drückte den Bolzen ab; aber er fehlte, und der Fuchs lief eilends in den Wald hinein.
Des Abends kam der Bursche in ein Dorf; da standen zwei Wirthshäuser einander gegenüber, und eines davon sah gar schlecht und ärmlich aus, aber in dem andern ging es gar lustig her mit Tanzen und Spielen. Da hinein ging er, lebte in Saus und Braus, und vergaß darüber den Vogel und die Heimath.
Da der älteste Sohn nicht wiederkam, zog der zweite aus, den Vogel und den Bruder zu suchen. Der kam auch an den Wald, und als er den Fuchs sitzen sah, legte er den Bolzen auf die Armbrust, und wollte nach ihm schießen. Der Fuchs aber sagte zu ihm: »Schieß nicht auf mich, ich will dir auch einen guten Rath geben, wie du zu dem Goldvogel kommen kannst.« Der Gärtnerssohn hörte aber nicht darauf, und schoß den Bolzen ab, ohne den Fuchs zu treffen, welcher wieder waldein lief. Da ging der Bursche weiter, und als er zu den beiden Wirthshäusern kam, sah er seinen Bruder im Fenster dessen stehen, wo es so lustig und herrlich herging. Der Bruder aber rief ihn, und sagte: »Bruder, komm herein, hier giebt es viel Lust und Vergnügen!« Da ging er hinein, tanzte und trank, spielte und lärmte, und vergaß Vogel und Heimath.
Nun bat der jüngste Gärtnerssohn seinen Vater, daß er ihn möchte reisen lassen, vielleicht wäre er so glücklich, den Goldvogel zu finden, und auch die Brüder wieder mitzubringen. Der Vater aber wollte das ungern zugeben, und dachte, er würde auch ausbleiben: denn es möchte ihm ein Unglück zustoßen, wie es die beiden andern würde betroffen haben; aber der Sohn ließ nicht nach mit seinen Bitten, da erlaubte er ihm endlich, daß er abziehen könne.
Als er nun unterwegs war, und auch an den Wald kam, sah auch er den Fuchs sitzen, und dachte: Den könntest du wohl schießen. Doch der Fuchs merkte sein Vorhaben, und sagte: »Schieß nicht auf mich!« Da ließ der junge Gärtnerssohn seinen Bogen nieder, und antwortete: »Nein, ich will dich nicht schießen, du hast mir ja nichts zu Leide gethan, warum sollt' ich dich tödten!«
»So will ich dir auch einen guten Rath geben!« sagte darauf der Fuchs; »ich weiß, was du suchst, nämlich den Vogel und die Brüder. Die Brüder aber findest du im nächsten Dorfe in einem Wirthshause, wo es gar herrlich hergeht. Da kehre nicht ein, sondern in dem Wirthshause gegenüber, das nach gar nichts aussieht. Ich aber will dich dorthin bringen, weil du so gutmüthig bist. Setze dich nur auf meinen rauchen Schwanz, da kannst du deine Kräfte sparen.«
Das that auch der Jüngste, setzte sich auf den Schwanz des Fuchses, und in kurzer Zeit waren sie im Dorfe. Da stieg der Gärtnerssohn ab, und kehrte in das unansehnliche, geringe Wirthshaus ein, wo kein wildes Lärmen und Schwärmen war, aber Ordnung und Reinlichkeit und gesunde Kost.
Am andern Morgen stand der Fuchs wieder auf dem Wege, und sagte: »Ich will dich zu dem Schlosse bringen, wo der Goldvogel ist, und du sollst ihn erlangen, wenn du mir folgst. Ich bringe dich auf meinem Schwanze bis nahe an das
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