Märchenmord
plötzlich einen Schritt zur Seite . »Merde!«, flüsterte er und dann fluchte er noch auf Arabisch , was wirklich bedrohlich klang . »Was ist los? « Er winkte ihr zu . Gina stellte sich vor ihn. Zunächst sah sie nur den schon vertrauten Betrieb auf der Straße. Ein blauer Transporter fuhr vorbei. Erst als er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, wusst e sie, was Noah meinte. Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite stand der schwarze Mann und starrte hoch zu Nikolaj s Wohnung . Sie konnte sein Gesicht sehen . Den undurchdringlichen Blick. Die versteinerte Miene . Ginas Atem flatterte. Ihr Herz schmerzte bei jedem Schlag. E s war nicht vorbei. Nein, es ging erst richtig los. Unwillkürlic h trat sie einen Schritt zurück. Dennoch konnte sie sehen, wie e r die Hand hob . Sie erstarrte zu Eis. Gefror in der Hitze des Sommertages . Er hielt ein Handy in der Hand und…oh Gott, er filmte . Ein Lächeln ging über sein Gesicht . Nein, kein Lächeln. Es war die Grimasse eines Lächelns . Als wollte er ihr sagen: Ich weiß, was du weißt .
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Elf
O h Gott.« Es war nur ein Flüstern, das ihre Stimme zustand e brachte. »Er hat es. Er hat es. « »Was?« Noah drängte sich an ihr vorbei, um einen Blick nac h draußen zu werfen . »Mein Handy! Er hat es! « Für eine Sekunde fühlte Gina sich erleichtert. Sie hatte sich da s Ganze nicht eingebildet . »Allah«, hörte sie Noah neben sich . Erst dann wurde ihr bewusst, was das bedeutete. Die Härche n im Nacken stellten sich auf. Die Angst war wie feine Eissplitter , die sich in die Haut bohrten . »Er weiß, wo ich wohne. Er weiß, dass ich alles gesehen habe. « Ginas Stimme klang in ihren eigenen Ohren schrill und hysterisch, aber sie konnte nicht aufhören zu kreischen. »Er war hie r in der Wohnung. Er kann jederzeit wiederkommen. « »Weg vom Fenster! « »Lass mich!« Gina konnte den Blick nicht von dem Mann lösen , der noch immer ihr Handy in der Hand hielt. Er wartete auf sie . »Komm! Wenn er wirklich so gefährlich ist, wie du sagst, solltest du ihm nicht als Zielscheibe dienen.« Noah zog sie zur Seite . »Was soll ich jetzt machen? Was soll ich machen?«, wiederholt e sie . Noah gab keine Antwort . »Ich muss meine Mutter anrufen. « Ja, jetzt musste sie ihr glauben . Gina rannte zurück in den Flur. Die Nummer des Theaters steckte am Spiegel. Ihre Finger zitterten, als sie die Nummer wählte , und als sie endlich die Sekretärin im Theater erreichte, hörte si e diese sagen: »Madame Kron n’est pas ici! «
»Aber wo ist sie? Hier ist ihre Tochter. Ich muss sie dringen d sprechen. « »Sie ist mit Monsieur Piot zum Essen gegangen. « »Können Sie mir sagen wohin? « »Ich habe keine Ahnung. « Gina ließ den Hörer fallen. Ihre Mutter war zum Essen gegangen? Mit dem Regisseur? Diesem schleimigen, widerlichen Angeber? Hatte sie nicht gejammert, wie viel Arbeit sie hatte ? Und nun? War ER noch da? Der schwarze Mann? Starrte e r nach oben ? Gina kehrte zum Fenster zurück . Ja. Da lehnte er an der Hauswand. Einzig die Tatsache, dass seine linke Hand ständig mit den Perlen einer Kette spielte, verrie t seine Anspannung . Was wollte er ? Was wohl? Er wartete auf sie. Er suchte nach ihr. Nichts andere s konnte es bedeuten, warum er Nikolajs Wohnung nicht aus de n Augen ließ. Ihr Herz schlug bis zum Hals . Sie wollte einfach nur weg. Weg. Zurück nach Hause. Nac h Frankfurt. Sie sollte ihren Vater anrufen. Und natürlich Tom . Sie hörte Noah etwas sagen . »Was? « »Ein Freund im Haus ist besser als tausend in der Wüste. « Gina runzelte die Stirn. »Was soll das? « »Das sagt mein Großvater immer. « »Aha. Und weiter? « »Wie es aussieht, bin nur ich da, um dir zu helfen. « »Wie willst du mir schon helfen? « »Ich habe eine Idee. « Eine Idee. Na super ! »Ich werde ihn ansprechen, o. k.? Ihn ablenken. Während du da s Haus verlässt. Dann kann er hier lange stehen. «
»Wie willst du ihn denn ablenken?«
»Lass mich nur machen. Darin bin ich Profi. Wir treffen uns i m Laden von Monsieur Saïd. « Was für eine Wahl hatte sie? Alles war besser, als hier zu sitze n und zu warten wie die Maus in ihrem Loch . »Einverstanden«, sagte Gina . »Bon! Aber verlass das Haus erst, wenn ich angefangen habe , mit ihm zu reden. « »O. k.« Gina nickte und fügte schließlich hinzu »Aber er ist gefährlich. Dangereux. Verstehst du? Er ist der schwarze Mann. « Noah lachte kurz auf. »Da, wo ich lebe, ist jeder Schritt gefährlich. « Dann
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