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Märchenmord

Märchenmord

Titel: Märchenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Seit sie in Paris angekommen waren, trieb sich ihre Mutter mit diesem Schleimer von Regisseur in der Großstadt herum, in Cafés, Bars, Restaurants. Sie trank vermutlich Alkohol, rauchte diese stinkenden Gauloises und… nein, mehr wollte sich Gina nicht vorstellen. Am Spiegel steckte noch der Zettel mit der Adresse vom Theater. Sie würde ihren Eltern noch eine Chance geben. Man konnte zwar nicht mit ihnen leben, ohne sie aber auch nicht. Gina wählte die Nummer. Nichts.
    O. k. Die nächste Chance bekam ihr Vater. Dasselbe Spiel, nur eine andere Nummer. Auch hier meldete sich lediglich die Mailbox. Gina schaffte es gerade so, die Tränen zu unterdrücken. Paulines Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf, dass sie ein Jammerlappen war. Nein, sagte sie sich, das sind keine Tränen der Enttäuschung, der Angst oder der Einsamkeit. Es sind Tränen der Wut. Mit Recht. Sie hatte das verdammte Recht, wütend auf ihre Eltern zu sein oder etwa nicht? Niemand war da, um ihr diese Frage zu beantworten. Unschlüssig stand sie im Flur herum. Es gab nur noch einen, den sie anrufen konnte. Tom. Sicher hatte er schon Hunderte von SMS auf ihrem Handy hinterlassen und wunderte sich, dass sie sich nicht meldete. Seine Nummer kannte sie auswendig. Ih r Herz klopfte. Sie hatte ihm so viel zu erzählen. Es klingelte nu r zweimal und da war sie, seine Stimme… »Hallo? « »Hi, Tom! Ich bin’s. « »Ich bin’s? Kenn ich nicht.« Er lachte . »Gina. « »Gina? Gina? Welche Gina. « Wollte er sie ärgern? Gina griff nach dem Amulett an ihre m Hals. Ob das auch in der Liebe half ? »Gina Kron. Aus deiner Parallelklasse. Du hast gesagt, du wills t dich bei mir melden. « »Wollte ich das? « Wieder dieses alberne Lachen. Gehörte das wirklich zu Tom ? Der einen Stern nach ihr benannt hatte ? »Lass ihn sausen«, hörte sie plötzlich wieder Maries Stimme . »Hey, Gina, du bist so ein tolles Mädel. Wenn du willst, kanns t du tausend andere und viel bessere Typen haben, die auf dic h abfahren. Du hast es doch nicht nötig, diesem dämlichen Ker l nachzulaufen. Besinne dich auf deinen Stolz, lass los und stür z dich ins Leben! « Genau das hatte Marie zu ihr gesagt. Mann war sie sauer gewesen. Das wollte sie doch von ihrer besten Freundin nicht hören , sondern etwas anderes wie »Ruf ihn an. Frag ihn, ob er mit di r ausgeht. Hast du nicht gesehen, wie er dir zugelächelt hat? Ic h glaube, der steht auf dich. Ganz sicher. « »Hey, ist da noch jemand?«, hörte sie Tom rufen. »Wie war noc h mal dein Name? Dschinni? Wie die aus der Wunderlampe? « Gina ließ den Hörer auf die Gabel fallen. Sie rutschte einfac h auf den Boden und blieb sitzen. Das also bedeutete die Ewigkeit . Ewigkeit, das war grenzenlose Einsamkeit. Das war, wenn ma n sich als Punkt im Universum fühlte. Klein. Unbedeutend. Ein e Null .
    Zum Teufel mit allen!
    Langsam band sie die Chucks auf, zog sie von den Füßen und schleuderte sie in die Ecke. Etwas ging schief in ihrem Leben. Es brach auseinander. Zerbröckelte. Erst zog ihr Vater aus, dann der Streit mit Marie. Noah hatte sie im Stich gelassen. Und Pauline, Pauline war eine hysterische Hexe. An den schwarzen Mann, diesen Karim, wagte sie erst gar nicht zu denken. So saß sie eine Weile auf dem Parkett und lauschte unter dem Ticken der Standuhr ihren eigenen Gedanken. So ein Gehirn war absolut nervtötend. Es quatschte, quatschte, quatschte. Und es gab keinen Knopf, mit dem man es abschalten konnte. Klick, aus! Ende! Aber etwas anderes konnte sie. Gina stand auf, ging ins Schlafzimmer, holte den iPod aus ihrem Rucksack und zog den Kopfhörer auf. Anschließend kehrte sie in den Salon zurück, nahm dort auf dem breiten Fensterbrett Platz, zog die Beine an, drückte ihr Gesicht an die Scheibe und stellte den iPod auf Zufall. Als der langsame Rhythmus von Katie Melua erklang, schraubte sie die Lautstärke so hoch, dass die Musik ihr Grübeln übertönte. Ha! Das hatten sie davon. Jetzt mussten die Gedanken endlich die Klappe halten. Die Straße unter ihr spulte ihr abendliches Programm ab. Die Ladenbesitzer schlossen ihre Türen. In den Cafés trafen sich Pärchen und versuchten, den letzten Rest der Abendsonne zu erwischen. Ab und zu ratterte ein Moped vorbei, ein Auto hupte, Baguette wurde in Tüten nach Hause getragen. Monsieur Saïd räumte die letzten Obstkisten weg.
    I’m sittin’ in the window of a street café, Watchin’ you walking by each day…
    O. k., sie war einsam. Allein. Bedauernswert. Erbärmlich.

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