Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
mit den zustande gekommenen Kontakten viele neue Arbeitsperspektiven eröffnen würden.
Vincenzo Argirò ist ein bodenständiger Typ, angesichts der Versprechungen künftiger Großprojekte antwortet er: »Wenn ich statt eines Nudeltellers nur ein belegtes Brot zu essen bekomme, wäre das auch okay.« Damit will er zu verstehen geben, dass man den Clans keine märchenhaften Versprechungen machen soll. Sie bevorzugen geringere, aber realistische Zusagen, nicht irgendwelche Wolkenkuckucksheime. »Wo ich herkomme, da wissen sie, dass wir mit euch zusammensitzen. Wenn alles klappt, werden wir wieder feiern können, so wie in der Vergangenheit, wenn ihr euch noch daran erinnert.« Argirò macht deutlich, dass er die Politik von Nevio Coral schätzt. »Einen sollten wir in die Stadtverwaltung schicken, einen weiteren in den Stadtrat, und einen ins Tourismusbüro, dann kommen wir vielleicht endlich da hin, dass wir überall unsere Leute haben, dass wir eine starke Gruppe werden.«
Das, was Coral den Mafiosi während des Abendessens vorgeschlagen hatte, war eine Art gemeinsames Führungskomitee. Diesem Treffen folgte noch ein anderes mit beiden Corals, Vater und Sohn, bei dem man konkretere Vorhaben diskutierte. »Wir müssen so etwas plakatieren wie ›Wählt Coral – für eine sichere Zukunft‹«, erklären sie der Tochter von Argirò und fügen hinzu: »Francesca hat uns 24.000 Euro gegeben. 12.000 hab ich mit dabei. Wir müssen die Sache über Rechnungen angehen.« Den Ermittlern zufolge ist die Summe, die Coral der ’Ndrangheta versprach, eine verkappte Finanzierungshilfe über Scheinrechnungen. Diese These lässt sich mit einem weiteren Abhörprotokoll stützen. »Ich muss noch dort vorbeigehen und eine Rechnung machen … Wann kann ich vorbeikommen?«, fragt ein Mafioso die Sekretärin von Coral.
Der Stimmenpool der ’Ndrangheta produzierte erkennbare Effekte. Der Ausgang der Wahlen vom 6. und 7. Juni 2009 für den Regionalrat sind verblüffend. Ivano Coral erhält 1797 Stimmen in Borgaro Torinese, 2 836 Stimmen in Leini und 1937 Stimmen in Volpiano. »Wir haben ihm wie versprochen die Resultate verschafft.« – »Den hab ich in der Tasche, ich schicke ihn zu dir.« Das sind die Kommentare zweier Mafiosi, die den Ermittlern zufolge zum »Wahlerfolg« Corals beigetragen haben. Kontakte zwischen der Regionalpolitik und der ’Ndrangheta, welche die Staatsanwälte näher beleuchten möchten, indem sie vorhandene Verdachtsmomente systematisch überprüfen.
»Da gibt’s einen Landsmann von uns, einen Freund … Kommt aus Genua … Nee, den kennst du nicht (…). Komm gegen drei, dann stell ich ihn dir vor. Es wird auch ein Politiker aus Rom da sein«, teilt Benvenuto »Paolo« Praticò, Mitglied des
Crimine
von Turin, mit. Zusammen mit einem weiteren Clan-Angehörigen organisierte er ein Treffen zwischen Politik und Finanz im Hotel
Atlantic
, bei dem auch ein Senator aus Kalabrien teilnahm, Gino Trematerra. Zum Zeitpunkt des Treffens ist der Senator, der 2010 Bürgermeister von Acri (bei Cosenza) wurde, Regionalkoordinator der UdC und fliegt gerade nach Brüssel, um seinen Sitz im Europaparlament einzunehmen. Sein Sohn Michele ist Regionalrat für Landwirtschaft und gehört zu den engsten Mitarbeitern von Giuseppe Scopelliti, Jahrgang 1966 und seit 2010 Präsident der Region Kalabrien.
Wie eng die Beziehungen zwischen beiden sind, geht daraus hervor, dass Scopelliti wenige Tage vor seiner Wahl zum Präsidenten nach Acri kam, um die Bürgermeisterkandidatur von Gino Trematerra zu unterstützen. Er versprach ihm, dass das Krankenhaus von Acri nicht geschlossen werde. »Ich setze mich für einen Freund ein, der aus Ligurien gekommen ist und einen Politiker aus Rom mitgebracht hat«, wiederholt der Pate gegenüber den Eingeladenen. »Es war gar nicht leicht, so viele Leute zusammenzubringen, da die meisten keinen Bezug zur Politik haben und nicht mal wussten, welcher Partei er angehört«, erzählt »Pino« Mangone, der in der ’Ndrangheta im Rang eines
Sgarrista
steht und Mitorganisator des Gipfeltreffens ist. Praticò hat Probleme, sich an den genauen Namen der Partei zu erinnern: »UdC, UdR oder so ähnlich.« Für die Bosse ist das egal. Was zählt ist, dass er aus Rom kommt und Senator ist. »Der kann so etwas machen, und die halten auch, was sie versprechen«, glaubt »Paolo« Praticò.
Das Gipfeltreffen findet am 19. Januar 2008 statt. In der Nähe des Tagungshotels
Atlantic
in Borgaro Torinese, unweit des
Weitere Kostenlose Bücher