Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Interessen im Hinblick auf die Expo 2015 mit Hilfe von Gefälligkeiten von Davide Valia voran, gegen den ebenfalls keine Ermittlungen eingeleitet wurden. Valia ist Assessor der Gemeinde Pero. ›Scheiße, zum Glück haben wir Valia in Pero, wegen der Expo und der Messe.‹ So lautete der aufgezeichnete Stoßseufzer der Mafiosi.«
Die Wählerstimmen, die die ’Ndrangheta in der Lombardei mobilisieren kann, wirken anziehend auf die Politik. Kontrollieren die Clans doch Tausende von Stimmen. Ein Stimmpaket, welches die Machtverhältnisse in den Parlamenten der Lombardei beeinflusst. Im Zentrum vor kurzem abgeschlossener Ermittlungen stand Antonella Maiolo, die ehemalige Staatssekretärin des lombardischen Regionalpräsidenten. »Ihr Erfolg geht auf den Einsatz von ’Ndrangheta-Stimmen zurück«, befand der ermittelnde Untersuchungsrichter in Mailand in seinem Urteil, das Haftstrafen für 35 Personen vorsah, so für den Paten Paolo Martino, den »Freund« von Lele Mora (der Berlusconi die minderjährigen Geliebten zuführte), und für Davide Flachi, Sprößling alten ’Ndrangheta-Adels.
Maiolo selbst wurde nicht vor Gericht gestellt, obwohl sie sich laut den Ermittlungsakten zweimal mit Davide Flachi traf, unter Vermittlung von Max Bonocore, der, wie die Ermittler erklärten, »bewusst« als Vermittler zwischen der Mafia und der Polit-Szene der Lombardei agierte. Trotz allem erhielt Maiolo am Ende nicht genügend Stimmen. Auch Marco Clemente verlor. Clemente ist Unternehmer und Mehrheitseigentümer des Lokals
Limelight
sowie 2010 Kandidat bei den Stadtratswahlen in Mailand. »Ich hoffe, er stirbt wie ein winselnder Köter«, fluchte Marco Clemente in einem abgehörten Gespräch, das in der Discothek
Babylon
stattfand, als er mit Giuseppe Amato sprach, der sich als Geldeintreiber für den Flachi-Clan einen Namen gemacht hat. Der Hass des Unternehmers galt dem Besitzer eines anderen Lokals, der sich mit den Schutzgeldzahlungen Zeit gelassen hatte. Clemente, heißt es auf seiner Homepage, war 2001 Parlamentsassistent, 2006 Berater von Alemanno im Landwirtschaftsministerium und ist seit 2009 Mitarbeiter von Regionalrat Giammario.
Clemente rühmt sich auch seines Einsatzes für die Messe Mailand. Außerdem behauptet er, mit Minister La Russa befreundet zu sein. Aber sein »Freundeskreis« ist noch bedeutend größer. In den Ermittlungsakten sind zwei Treffen mit Unterweltgrößen vom Kaliber eines Salvatore Barbaro vermerkt. Einmal vor und einmal nach der Wahl 2008. »Der Abgeordnete Ignazio La Russa«, so steht es in einem dieser Berichte, »hat über einen nahen Verwandten [Osnato] und Clemente, Teilhaber einer bekannten Discothek, Salvatore Barbaro kontaktiert. Beide baten den Clan um Hilfe. Die gesamte kalabrische Community der Region Mailand sollte mobilisiert werden, bei der anstehenden Wahlen für die Liste der PdL zu stimmen. Salvatore Barbaro habe sich hierfür besonders stark gemacht und persönlich garantiert, dass die Stimmen seiner Landsleute der Liste zugute kommen.« Beim zweiten Treffen, das in einem Mailänder Restaurant stattfand, nahmen Clemente sowie Barbaro und Domenico Papalia teil, der Sohn des verhafteten Paten Antonio. Die Sprösslinge der Clans, so die Ermittler, holten diesmal Auskünfte bezüglich verschiedener Ausschreibungen ein, die ihnen vor der Wahl im Tausch gegen Wahlhilfe versprochen worden waren.
Marco Clemente wurde bisher nicht angeklagt. Sein Name taucht jedoch regelmäßig in Untersuchungsakten und Haftbefehlen auf, in denen es um prominente Mafiosi geht. Es ist eine Frage der Opportunität, sagt jemand. Aber nicht für Letizia Moratti. Sie verteidigt Clemente, indem sie darauf hinweist, dass die Anti-Mafia-Behörde nicht gegen ihn ermittle und sein Verhalten von der Staatsanwaltschaft als unverdächtig eingestuft werde. Alles eine Frage des Standpunkts. Und der Gelegenheiten, genauer gesagt. Zumal die ’Ndrangheta niemals nur ein Pferd ins Rennen schickt. Das belegen einige Untersuchungen aus der jüngeren Vergangenheit. Darin werden die Politstrategien der ’Ndrangheta ausführlich beschrieben. Die Bosse wählen die passenden »Pferde« aus, halten Rücksprache mit den Oberbossen oder den regionalen Koordinatoren, treffen ihre endgültige Wahl. Dabei kann es auch zu Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Organisation kommen. Wenden sich zu viele Kandidaten zwecks Unterstützung an die Bosse, kann es auch einer so geschlossenen Organisation wie der ’Ndrangheta passieren,
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