Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Besitz von Emigranten aus Sizilien, Kalabrien oder Kampanien befinden. Wie viele Arbeiter haben die eigene Existenz geopfert, zuerst in der Textilindustrie, dann in den Fiat-Werken? Turins Reichtum wuchs auf dem Rücken der arbeitsamen Emigranten. Unter anderem dank der zugewanderten Emigranten aus dem Süden hat die Stadt ihren europäischen Spirit entwickelt.
Turin ist auch eine sehr gastfreundliche Stadt. In den Genuss dieser Gastfreundschaft kamen auch die Vertreter der Unterwelt. Getarnt und versteckt hinter den Ehrlichen, haben sie den richtigen Moment abgewartet, um viele Reichtümer der Region Piemont in ihre Gewalt zu bringen. Dabei stießen sie auf keinen großen Widerstand. Im Gegenteil. Piemontesische Unternehmer haben sich bereitwillig auf Verhandlungen mit der ’Ndrangheta eingelassen. Jemand, der über die entsprechenden Kontakte verfügt, ist der Unternehmer Nevio Coral. »Honorarkonsul der Elfenbeinküste« nennen ihn seine Anhänger. Eigentlich ist die Gemeinde Leini, deren Bürgermeister Coral lange Jahre war, gefolgt von seinem Sohn Ivano als Amtsnachfolger, eine Kooperation und Städtepartnerschaft mit der Elfenbeinküste eingegangen. Was den Neid der Mafiosi weckte. »Weißt du was das heißt, Botschafter der Elfenbeinküste zu sein? Da kannst du Obst importieren, Ananas, Pfirsiche und so was.« An diesen millionenschweren Importen wollen die Clans partizipieren. »Dann gibt’s da noch die Metalle«, wie die Tochter des Clan-Chefs weiß. »Die kommen später. Wir müssen das Schritt für Schritt angehen, das hat alles seinen politischen Preis«, antwortet Todarello, der Francesca Argirò wertvolle Einsichten gibt, für die ihm die abhörenden Beamten sehr dankbar sind. So zum Beispiel, als er ihr gegenüber zugibt, dass sein Vater »deutlich mehr Potential hat als ich selbst, besonders mit Bürgermeister Coral. Wir werden eine Firmengruppe konstruieren. Zu der sollen auch einige der Leute kommen, die heute Abend da sind, alles ehrenwerte Leute.«
Die Führungsfiguren der ’Ndrangheta in Piemont zeigen den Ermittlern zufolge ein deutliches Interesse an Coral und seiner Familie. Ihnen geht es darum, Geschäfte zu Sonderkonditionen abzuschließen und neue Kontakte zu knüpfen. Coral dient ihnen dabei als ›Eintrittskarte‹ in die Welt der Unternehmer und Politiker.
»Wie er sich in den Banken verhält, das hat was. Aber wenn man erst mal so reich ist, vertrauen einem die Banken ohnehin.« Wenn die Mafiosi da reingehen würden, stünde gleich die Staatsanwaltschaft vor der Tür. Da sind sich die beiden Mafiosi sicher. Der Unternehmer und Politiker sorgt für die Aufträge, und die Bosse sorgen für die Wählerstimmen. Der Kreis schließt sich. Die Arbeitsbeziehungen zwischen Coral und den Bossen bestehen schon seit vielen Jahren. Und sind auf den Coral-Baustellen unübersehbar. Wo die ’Ndrangheta den Wachschutz versieht, das Baumaterial liefert, die Maschinen und die sonstigen Dienstleistungen.
Nevio Coral und Vincenzo Argirò vertrauen sich. »Es herrscht ein Klima intensiver Konspiration zwischen dem Beschuldigten und seinen Bekanntschaften aus der Mafia«, wie die Ermittler es beschrieben. Was auch durch die häufigen, irritierenden Besuche des Unternehmers aus Leini bei verschiedenen prominenten Mafiosi belegt wird. Er pflegt enge Beziehungen zu Giovanni Iaria, der in der Lokalpolitik aktiv ist, und zuvor Stadtrat und Assessor der Gemeinde Cuorgnè war. Zudem ist er der Onkel von Bruno, der ebenfalls in den Genuss der privilegierten Freundschaftsbeziehung zu Coral kam. Coral ist jemand, den Bruno Iaria gern um sich hat. Coral unterhielt auch zu Giuseppe Gioffrè Arbeitsbeziehungen, dem Boss, der jahrelang in Turin ansässig war, bis er im Dezember 2008 in Bovalino (Kalabrien) erschossen wurde.
»Gioffrè war einer der eifrigsten Anbieter für Sicherheitsdienstleistungen auf den Baustellen von Coral, für die er auch regelmäßig engagiert wurde, so dass Gioffrè seinerseits mit den Firmen, die er leitete, bei der Verteilung der Subaufträge bzw. der Zulieferungen mitmischen konnte.« Es handelte sich um ein gut geöltes System, das die Paarung Coral/Mafia etablierte. Nicht zuletzt deshalb rief Gioffrè bei einer Gelegenheit aus: »Nevio hab ich zu dem gemacht, was er heute ist. Ich hab ihn großgemacht. Und er war mir sehr dankbar dafür. Er sagte wörtlich: ›Scheiße Mann, hier wagt sich wirklich niemand an mich ran.‹ « Was natürlich auch mit einem Umstand zusammenhing, den
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