Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Als sich die Situation zuspitzte, griff das Sondereinsatzkommando der italienischen Polizei ein. So konnte in letzter Minute der Ausbruch eines Krieges im Raum Bologna-Reggio Emilia-Rosarno verhindert werden.
Zu den Beschuldigten zählen auch der Pate Bellocco, seine Ehefrau, der Unternehmer Gallo sowie Antonio Bellocco, der Neffe des Paten, der wegen seiner Rolle bei den Übergriffen der Einwohner von Rosarno auf die dort zusammengeströmten Immigranten im Januar 2010 in Reggio di Calabria schon in Untersuchungshaft gesessen hatte. Er war einer der vielen dahergelaufenen Demagogen aus Rosarno, die laut nach Recht und Gesetz geschrien und die Immigranten über die Ebene von Gioia Tauro gejagt hatten. Einige Monate danach hagelte es Strafen.
Obst und Gemüse verbinden die Geschichte der Mafia-Bosse im Norden Italiens, genau genommen in Genua, Bologna und Mailand, wo Salvatore Morabito, der Sohn von Oberboss Peppe »U Tiradrittu« Morabito, mit seinem Ferrari im Gemüsemarkt vorfuhr, als Angestellter der Betriebsgesellschaft des Marktes. Auch der Sprössling des Morabito-Clans aus Africo (Kalabrien) war offiziell nur Handlanger auf dem Markt, während er tatsächlich in großem Stil mit südamerikanischem Kokain handelte und den Markt zur Tarnung dieser Geschäfte nutzte. Auf dem Markt hatten auch Kooperativen, die indirekt im Besitz der Mafien standen, ihre Handelsräumlichkeiten. Dort wurde das »weiße Gold« gestapelt und verteilt. Die ’Ndrangheta vergisst ihre bäuerlich-landwirtschaftlichen Wurzeln nicht. Nach wie vor investiert sie in die Landwirtschaft, und strebt auch hier Monopole an.
Im San-Fruttuoso-Viertel von Genua kennt man ihn als »Mimmo«, den König des Obst- und Gemüsehandels. Denn Domenico »Mimmo« Gangemi ist der Eigentümer der Firma
Regno dell’Ortofrutta
(dt.: Obst- und Gemüse-Königreich). Ein unverdächtiger Kaufmann. In seinem Geschäft verkehren alle sozialen Klassen. Unternehmer, Angestellte, Arbeiter, Politiker. Sie halten ihn für einen geschickten Kaufmann. Sicher, die Bewegungen auf seinen Konten belegen, dass er eine mächtige, einflussreiche Person ist, die in der Lage ist, Entscheidungen von großer Reichweite zu treffen, Strategien zu beschließen und diesem oder jenem Kandidaten Kaufstimmen zur Verfügung zu stellen. Aber niemand hielt ihn für einen Mafia-Boss. »Ein Pate, das ist doch noch was anderes. Der würde nicht so gescheit reden. Der wäre grob und würde auch nicht selbst arbeiten.« »Mimmo« Gangemi erfüllt keines der im Fernsehen, in Romanen und Liedern verbreiteten Mafia-Klischees. Eine Organisation, die sich auf Folklore gründet. Das ist »Mimmo« nicht und sprengt so die kollektiven Vorstellungen, die die meisten Bürger Norditaliens von der Mafia haben.
Pittoresk sind die ’Ndrangheta-Clans im Norden am allerwenigsten. Sie gleichen eher Firmen. Sie verwalten ganze Wirtschaftssektoren, handeln mit legalen und illegalen Gütern. Sie stellen einen strukturierten, präzise arbeitenden Organismus dar. Die »Führer« der Mafia-Zelle von Genua sollen den Ermittlern zufolge Domenico Gangemi, Antonio Belcastro, Onofrio Garcea (der Senator Trematerra zum Gipfeltreffen von Turin begleitete), Lorenzo Nucera und Arcangelo Condidorio sein. Gangemi und Belcastro wurden bereits während der Operation »Crimine« verhaftet. Als Zellenchef von Sarzana gilt Antonio Romeo. In Lavagna soll Paolo Nucera die Befehle geben, ebenfalls ein sich als Unternehmer gebender Pate. Er ist Inhaber eines Hotel-Restaurants, in dem sich die Elite der ’Ndrangheta Liguriens regelmäßig zusammenfand. In Ventimiglia regierten Giuseppe Marcianò, Michele Ciricosta, Benito Pepe sowie Francesco und Fortunato Barillaro für die Mafia. Auf ihrer Lohnliste stand, wie die Ermittler erklärten, auch ein Politiker: Vincenzo Moio, bis 2009 stellvertretender Bürgermeister der Grenz-Gemeinde.
Wie in Piemont und in der Lombardei, so existiert auch in Ligurien eine Parallelstruktur. Dort werden Allianzen geschmiedet zwischen Clans und den »Externen«, also Politikern und Unternehmern der Region. Macht, Profitmaximierung, Geldwäsche, Ehre, Respekt. Geschäfte, Politik und Tradition sind die Begriffe, an denen sich das Handeln der meisten kalabrischen Clan-Chefs orientiert. Zwischen Genua und Ventimiglia haben sie ihre Zweitwohnsitze bezogen. Sie treffen sich mit Stadt- und Regionalräten, Assessoren, Unternehmern und Politikern, gehen in den Gemeindeverwaltungen ein und aus, beeinflussen die
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