Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
dortigen Entscheidungswege, greifen sich Ausschreibungen, schießen, zünden an, bedrohen, handeln mit Drogen. »Ich hätte nie gedacht, dass er ein Mafia-Boss sein könnte.« Unsichtbar, getarnt, verkleidet als Kaufleute, Veranstalter, Hoteliers, Bürgermeister, Assessoren. Sicher ist es nicht einfach, die ’Ndrangheta-Mitglieder von Normalbürgern zu unterscheiden. »Er verkauft hervorragendes Obst und Gemüse, er arbeitet hart.« Das ist, was viele Einwohner Genuas in »Mimmo« Gangemi sehen. Sie begreifen einfach nicht, dass er ein Mafia-Boss und Mitglied des örtlichen Kontrollorgans der Mafia war, berechtigt, direkten Kontakt mit dem Oberboss Don Mico Oppedisano aus Rosarno aufzunehmen. Für viele Einwohner Genuas ist Gangemi bis heute ein einfacher Obst- und Gemüsehändler, der »König des Obst- und Gemüsehandels«, wie es auf der Ladeninschrift seines Geschäfts in Genua heißt. »Hey Kumpel, das, was wir hier an Geschäften durchziehen, das machen wir für unsere Heimat. Es ist nicht so, dass unsere Abgesandten in der Lombardei für sich regieren. Wir Kalabresen ziehen immer unser Ding gemeinsam durch.«
Der König des Obst- und Gemüsehandels weiß ganz genau, dass eine Mafia-Zelle ohne die Unterstützung der obersten Ebene, der
Provincia
, ein Torso ist, ein Krüppel, einfach kraftlos. Das sagt er auch Domenico Oppedisano, dem er all die Ehrerbietung entgegenbringt, zu der die Mafia-Zellen Liguriens gegenüber den obersten Bossen fähig sind. »Wir gehören alle zusammen, Ligurien und die ’Ndrangheta. Wir sind alle Kalabresen. Das, was war, haben wir dorthin mitgenommen. Das, was wir dort aufgebaut haben, das haben wir sicher. Wir arbeiten so eng wie möglich mit Kalabrien zusammen. Wir und Kalabrien – ich persönlich stehe dafür ein –, wir sind eins, alle Kalabresen.«
Ligurien und Kalabrien, Süd und Nord. Für die ’Ndrangheta ist die gesamte italienische Halbinsel ein großer Handelsplatz. Handelsunternehmen, Baufirmen, Restaurants und Hotels. Das sind die legalen Zweige der ’Ndrangheta-Wirtschaft. Auf deren Rückseite existiert die Wucher-’Ndrangheta. Die verdeckt von vorgeschalteten Finanzgesellschaften die Kundschaft nach allen Regeln der Kunst ausnimmt und sich Unternehmen auf illegale Weise einverleibt. Onofrio Garcea ist ein Unternehmer-Wucherer. Er leitet die Finanzgesellschaft
Effegi Direct
. Unter dem Schutzmantel der Gesellschaft praktiziert er gelebten Zinswucher. Als eine gegen ihn gerichtete Operation im Juli 2010 startete, war er auf einmal verschwunden. Bis Dezember 2010 blieb er flüchtig. Mit seiner doppelten Tätigkeit produzierte er märchenhafte Profite. Geld, das er unter anderem auch nach Kalabrien schickte. »Ich geh jetzt zu jemandem, um Geld nach Kalabrien zu schicken (…). Ich geh jetzt rauf und bring das Geld auf den Weg.«
Für ihre politische Unterstützung des gerade aufgestellten Kandidaten erwarten die Clans Gegenleistungen. Aufträge, Konzessionen, Gefälligkeiten. Im Fall der Mafia-Zelle von Lavagna hatte Gangemi keinerlei Zweifel. Weil er in deren Gemeinde Aufträge erhalten hatte, wollte er einige Stimmen aus dem Mafia-Pool für die Tochter von Moio reservieren. »Die Arbeit mit den Kommunen übernehmen ihre Brüder«, betont Gangemi und bezieht sich dabei auf die Firma der Brüder von Paolo Nucera, die den Zuschlag im Rahmen der Ausschreibung von Stadtreinigungsarbeiten in der Gemeinde Rapallo (bei Genua) erhalten hatte.
Und dann gibt es natürlich noch die nächtlichen Amüsements, eine Handelsware, die die ’Ndrangheta Liguriens auf ihre Weise anbieten. An der Riviera ist das Vergnügen Pflicht. Nachtlokale, Prostituion, Wettspiele »in legalisierter Form« von Spielautomaten. Das ging nicht aus der Operation »Maglio 3« hervor, sondern aus der Untersuchung, die schlussendlich zur Auflösung des Gemeinderats von Bordighera (Ligurien) wegen mafiöser Unterwanderung führte. Der Pellegrino-Clan von der Mafia-Zelle Ventimiglia, der in Bordighera zu Hause war, hatte auf einige Assessoren der Gemeinde Druck ausgeübt. Ziel war es, Lizenzen für eine weitere Spielhölle zu erhalten, eine Art Mini-Spielcasino mit Bildschirm-Wettgeräten. Die Anti-Mafia-Behörde von Genua ermittelte zudem, dass zwei Brüder von Pellegrino ein Nachtlokal betrieben, in dem junge Mädchen aus Osteuropa zur Prostitution gezwungen wurden. Das war aber nur die Spitze des Eisbergs, so dass die kurz zuvor eingesetzte vorbereitende Kommission für die Auflösung des
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