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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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und ich bin drauf und dran, wieder umzukehren. Aber ich kann nicht. Denn hier spielen sich die Geschichten ab, von denen ich berichten will.
    Finstere Gesichter, stumpf von Alkohol und Zigaretten. Jemand scheint gerade Kokain genommen zu haben. Ich tausche Scheine gegen Münzen. Eine lächerliche Geste, typisch für Anfänger oder für Spione. Hier spielt man mit schwermütigem Ernst. Ich bin in einem der ehemaligen staatlichen »Erholungsheime«, die zu Etablissements des Casalesi-Clans geworden sind. In Carpi, einer Kleinstadt, zwanzig Kilometer von Modena entfernt. Der Name des Clubs ist bezeichnend.
Matrix 2
. Auch die Camorra-Bosse wissen, dass das, was sie aufgezogen haben, eine Art Parallelwelt darstellt, die die Verdammten dieser Erde verschlingt. Es ist ein verzerrtes Spiegelbild der Wirklichkeit, jenen Spielernaturen zur Qual, die vor meinen Augen die unbarmherzigen Automaten beschimpfen.
    Zwischen Spieler, Automat und Clan besteht eine perverse Beziehung. Ich meine das Stockholm-Syndrom. Genau dieselbe Abfolge ambivalenter Verhaltensweisen. Im ersten Moment hasst und fürchtet das Opfer denjenigen, der ihm wie ein Blutsauger die Lebensenergie entzieht. In der nächsten Phase unterwirft man sich und überhöht den eigenen Folterknecht, der über die Macht verfügt, über Leben oder Tod zu entscheiden. Der Täter wiederum gibt sich scheinbar milde gegenüber seinem Opfer, dem bereits der letzte Rest Würde genommen wurde.
    Neben mir sitzt eine Frau um die fünfzig, die plötzlich jubelnd 10.000 Euro gewinnt. Ein ausländischer junger Mann flucht angesichts seiner Pechsträhne. Jemand, den hier alle Michele nennen, verliert 5.000. Die Frau gewinnt wieder, aber sie lässt den Hebel nicht los, der so viele Träume verspricht und der sie mal zu Jubelschreien, mal zu tiefen, kummervollen Seufzern verleitet. Die Automaten schaffen eine Art Gleichheit unter den Spielern. Sie alle sind durch den verzweifelten Kampf miteinander verbunden, den sie – jeder für sich – mit den elektronischen Manipulatoren ausfechten. Systematische Vereinzelung der Opfer, die klassische Raubtierstrategie. Wenn man erst mal die Hände auf den Knöpfen und Hebeln hat, verschwinden Familie, Kinder, Arbeit. Zweifel und Reue werden über Bord geworfen. Neues Spiel, neues Unglück. Immer wieder von vorn, um das eigene Schuldbewusstsein zu betäuben. Ersatzbefriedigung, die den eigenen Niedergang nur noch beschleunigt, wenn man einmal in ihre Fänge geraten ist.
    Es sind kaum zehn Minuten vergangen, seit ich diesen Höllenschlund betreten habe. Eine junge Blondine, mittelgroß, schlank, betritt den Raum. Ich beobachte, wie sie – mit dem Gestus einer Geschäftsführerin – erklärt, anordnet, Aufgaben verteilt. Sie scheint Ordnung in ihren Laden zu bringen. Meinen Augen, tränend von der sündengeschwängerten Luft in diesem Schuppen, erscheint sie zu jung, um einen solchen illegalen Laden leiten zu können. Ihr Handy klingelt. »Ja?« Ich versuche mitzuhören, irgendeinen Wortfetzen zu erhaschen, um zu verstehen, wer sie ist, was für eine Rolle sie spielt, so jung, so verloren. »Umso besser … aber … na gut … wusste ich nicht … nein, das ist mein privates Handy.« Sie legt auf, nachdem sie noch ein »okay, dann bis später« hinterher geschickt hatte. Nach einer knappen Viertelstunde verlässt die Frau die Spielhölle wieder.
    Wie ich später herausfinde, heißt die junge Frau Ioana Ancuta Gurlui und stammt aus Rumänien. Sie wohnt zusammen mit einem gewissen Antonio Noviello. Er wird zum Clan der Casalesis gerechnet und sitzt mittlerweile im Gefängnis von Castelfranco. Ioana hielt auch den Kontakt zu Nicola Mennillo, einem Gefängniswärter der Justizvollzugsanstalt Sant’Anna in Modena, dessen Spitzname ebenfalls Antonio lautet. In Sant’ Anna waren zeitweise Noviello, Nicola Nappa und andere Clan-Angehörige der Clans Schiavone, Zagaria, Iovine und Diana inhaftiert.
    Es ist ein klassischer Korruptionsfall, der von den Staatsanwälten der Anti-Mafia-Direktion Bologna aufgedeckt wurde. Ihre Anti-Mafia-Operation »Medusa« betraf zahlreiche Mitglieder des Casalesi-Clans. Die auch noch aus ihren kargen Gefängniszellen heraus Anweisungen gaben und Botschaften verschickten. Unter anderem auch mit den ihnen zur Verfügung stehenden Handys. Sant’Anna ist kein spezialisiertes Riesen-Mafia-Gefängnis wie etwa die Anlage von Ucciardone in Palermo. Aber genau deswegen hatte die Taktik von Mafia-Bossen aus der Gegend von Aversa hier

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