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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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Nirta, Führungsfigur des Clans der Nirta-Strangio. Das Attentat war die Rache für einen Anschlag im Sommer gewesen, bei welchem »Ciccio« vier
Lupara
-Schüsse mit grober Schrotmunition abbekommen hatte. Sein Zustand war lebensbedrohlich, als er ins Krankenhaus von Locri eingeliefert und von da aus nach Reggio di Calabria verlegt wurde.
    Während die Frauen des Clans die traditionellen Trauergesänge anstimmten, reinigten sie den blutverschmierten Bürgersteig, bevor die Polizei eintraf. Im Krankenhaus wachten nicht weniger als zwanzig Verwandte und Freunde auf dem Flur vor seinem Krankenzimmer, da sie befürchteten, es könnte jemand ausgeschickt worden sein, um die angefangene Arbeit zu Ende zu bringen. Erneut verlegt, diesmal in eine Klinik in Norditalien, wurde ihm nach einigen Tagen und zahlreichen medizinischen Untersuchungen mitgeteilt, dass er nie wieder in der Lage sein werde, zu laufen. Fortan ging es »Ciccio Pakistan« darum, sich für die Querschnittslähmung, die ihm zugefügt worden war, zu rächen und seine Ehre, die für einen Mafiosi mehr als alles gilt, wiederherzustellen. Dass er am Tag der Geburt seines ersten Sohnes vom rivalisierenden Clan über den Haufen geschossen wurde, dafür brauchte es eine adäquate Antwort, die einem ’Ndrangheta-Boss würdig ist. Daher entschied er sich trotz der ablehnenden Haltung seines eigenen Clans dafür, seine Anhänger zusammenzutrommeln und die Weihnachtsfeier 2006 in der kalabrischen Kleinstadt San Luca mit einem Blutbad zu überhöhen. Jenes San Luca, das die eigentliche Hauptstadt der ’Ndrangheta und ihrer archaischen Traditionen ist.
    Neben Maria Strangio, die bei dem Anschlag umkommt, wird ein Kind verletzt. Eine »starke« Aktion von »Ciccio Pakistan«. Denn Francesco Pelle selbst ist kein Boss, sondern »nur« ein aufsässiger Killer aus dem Mittelbau des Clans, der um seinen Aufstieg kämpft. In Africo, im Bannkreis der Gebietshauptstadt Locri, wollte er nach der Festnahme des Clan-Chefs Peppe »U Tiradrittu« Morabito Karriere machen, indem er die Führungsschicht der ’Ndrangheta ein wenig aufscheuchte. Doch sein kurzer Höhenflug, sein zeitweiliger Aufstieg in der ’Ndrangheta-Hierarchie hatte ihn nicht weiter als bis in den Rollstuhl gebracht. Endgültig gescheitert ist er angesichts der grausamen Antwort des Nirta-Strangio-Clans, dem Anschlag von Duisburg mit den sechs Toten in jener Augustnacht 2007. Ein Massaker fern der Heimat, in einem fremden Land durchgeführt, das die ’Ndrangheta nur zu gut kennt. Hier beherrschen die kalabrischen Clans schon seit Jahrzehnten den Kokainhandel und reinvestieren ihre üppigen Gewinne in Restaurants und in Finanzgeschäfte.
    Peppe kommt ins Grübeln. Er seufzt, wenige Zentimeter von dem ’Ndrangheta-Mitglied entfernt. Sein Instinkt sagt ihm, zur Polizei zu gehen. Aber etwas hält ihn davon ab. Er denkt an seine Heimatregion. An die dunklen Zeiten. Er denkt daran, dass Francesco Pelle mit Sicherheit über ein riesiges Netzwerk von Unterstützern verfügt. Wie könnte ein flüchtiger Straftäter im Rollstuhl sonst den wachsamen Augen der Ordnungskräfte und der Öffentlichkeit entgehen, fragt sich Peppe.
    Weitere Tage vergehen. Der August beginnt. Peppe fährt ins heimatliche Bovalino. Er will nicht mehr an die Sache denken. Er schweigt. Erzählt niemandem etwas davon. Erst einige Tage vor der Rückkehr nach Norditalien entschließt er sich, mir sein Herz auszuschütten. Es war an einem der letzten Abende. Wir verbrachten ihn mit Bier am Meeresufer in einem der Dörfer rund um Bovalino und genossen anschließend Fruchtsorbets auf der historischen Piazza im Zentrum von Ardore Superiore. Nach Bovalino zurückgekehrt, warteten wir traditionsgemäß am Strand auf den Sonnenaufgang. Die endlosen Diskussionen darüber, was aus uns, unseren Zielen und unserer Gegenwart geworden war, setzten sich fort. Unterhaltungen, die Minuten und Stunden wie im Flug vergehen ließen. Bis endlich dieses Kaleidoskop aus zarten Farbtönen am Himmel erschien. Hingehaucht. Ein Geschenk des Universums für uns. Die Morgenröte ist die Nacht, die sich in einen Tag verwandelt. Dieser unglaubliche Moment, in dem der nächtliche, sternenübersäte Augusthimmel dem neuen Tag weichen muss. Nacht und Tag gehen für kurze Zeit ineinander auf und lassen Raum für unsere unschuldigen Vorstellungen. Von einer Zukunft, die wir in der Heimat, in der wir geboren waren, verbracht hätten. Von Erinnerungen, die aus Kämpfen bestehen, von

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