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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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Lombardei.
    Es ist Juli, und Peppe wäre jetzt gern an einem anderen Ort. Fern von der üblichen Dunstglocke über der Po-Ebene, welche die Lunge und den Geist verseucht. Lieber würde er jetzt in der Sonne liegen, die über seiner Heimatregion scheint, oder im Meer vor der kalabrischen Küste baden. Wenn man uns nur wirklich berufliche Chancen bieten würde, zu Hause, in der Region um Locri, wer würde dann freiwillig diesen klaren, tiefblauen Himmel und den verführerischen, betörenden Duft von Jasmin und Meeresluft gegen den im Norden vorherrschenden Smog eintauschen? Das Heimweh ist ein schreckliches Monster und ein ewiger Begleiter des Emigranten. Es durchbohrt die Seele und martert dein Hirn. Beide füllen sich immer zur Unzeit mit Gefühlen und Bildern aus der Kindheit. Idyllische Bilder. Gerade geerntete Tomaten, kleine grüne Oliven, Basilikum, der dort in ganzen Büschen wächst, Minze mit fingerdicken Ästen, Freunde, mit denen man gemeinsame Wanderungen gemacht hat.
    Aber dann kommen die schmerzhaften Erinnerungssplitter aus der Vergangenheit hoch. An die Gegend mit ihrer nervtötenden, unter dem Mafia-Terror erstarrten Gesellschaft. Eine Gegend, die sich gleichgültig gibt gegenüber der Vielzahl von Jugendlichen, die von hier fortziehen, gegenüber den Söhnen und Töchtern, die von der ’Ndrangheta mit
Luparas
und Maschinenpistolen über den Haufen geschossen werden. Eine Gegend, die kein Mitleid hat mit den auf den Bürgersteigen ermordeten Opfern oder mit den Frauen und Männern, die einfach verschwunden sind oder deren Überreste Jahre später in der Bergregion des Aspromonte gefunden werden. Es lässt sie kalt.
    Am Ende solcher Überlegungen, die einhergehen mit Melancholie und tiefer Trauer, gelangt Peppe immer an denselben Punkt: Er tröstet sich, dass es trotz allem richtig war, von dort wegzugehen, »die einzige Chance, das normale Alltagsleben eines freien Menschen leben zu können«. Peppe hat gelernt, sich damit zufriedenzugeben. Das Fruchtsorbet auf der Haupteinkaufsstraße und die kühle Mandelmilch in den Cafés am Meeresufer hat er eingetauscht gegen einen Spaziergang unter den Bogengängen der Piazza Vittoria von Pavia. Statt im Aspromonte zu wandern, unternimmt er jetzt Ausflüge in die Alpen. Hausgemachte handgedrehte Maccheroni wurden durch Buchweizen nach Art des Valtellina ersetzt. Den frischen Pecorino der Hirten aus dem Aspromonte durch die Weichkäse der Region um Pavia. Es sind nur noch wenige Wochen bis zu den Sommerferien. Noch ein bisschen Arbeiten und dann ab nach Kalabrien. Meer. Sonne. Abende mit Freunden. Lagerfeuer, um nicht zu vergessen, wer wir sind. Und um sich zwischen einem Gitarrenakkord und einem Trinkspruch an verbotene jugendliche Streifzüge zu erinnern.
    Die Kliniksekretärin hatte Peppe mitgeteilt, dass der Neuankömmling das Empfehlungsschreiben eines bekannten Mailänder Professors bei sich trage. Peppe war verwirrt und verblüfft über die vielen Ehrbezeugungen, die »Ciccio Pakistan« vorweisen konnte. Es vergingen ein paar Tage. Peppe untersuchte, analysierte, gab medizinische Empfehlungen und scherzte mit »Pasqualino«, wie sich der Neue vom Klinikpersonal nennen ließ. Peppe hörte genau, dass der Neue sorgsam darum bemüht war, seinen Heimatdialekt zu verbergen. Und er empfand spontan Unbehagen, als er den in seinen Augen mysteriösen Patienten eines Tages unfreiwillig dabei belauschte, wie er vor anderen Patienten mit seinem umfangreichen Immobilienbesitz angab und von Ländereien, Villen, Luxuslimousinen erzählte. »Was für ein Depp«, dachte Peppe.
    Immer, wenn er den Neuen sah, saß dieser vor dem Computer. Peppe wurde langsam misstrauisch. Als sie bei einer weiteren Untersuchung im Bein des geheimnisvollen Patienten Fragmente eines Projektils fanden, wurde aus dem Verdacht Gewissheit. An diesem Punkt geriet Peppe in Panik. Die Zweifel verflüchtigten sich. Die reale Identität des Patienten war nicht mehr zu bestreiten, nicht mehr zu beschönigen. Es handelte sich um niemand geringeren als Francesco »Ciccio Pakistan« Pelle, den Sprössling vom ’Ndrangheta-Olymp. Ein »Ehrenmann«, der mit zahlreichen einflussreichen Clans verwandt ist. Zum Beispiel mit jenen der Pelle-Vottari. Aber auch mit den Morabitos aus dem kalabrischen Africo, deren neues Hauptquartier der Gemüsemarkt in Mailand ist.
    »Ciccio Pakistan« war der Auftraggeber des Massakers von Weihnachten 2006, dem Maria Strangio zum Opfer fiel. Die Ehefrau von Giovanni Luca

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