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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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Boschetti aus und ergänzte, »und ich wollte nichts mehr davon wissen.« Und wieder gerät das janusköpfige Doppelgesicht aus Unterhaltungsindustrie und ’Ndrangheta in den Blick, die beide vom Zerstreuungsbedürfnis der Jugendlichen leben.
    Eine engere Beziehung zwischen den Teilhabern und Salvatore Grande Arcri wird durch die Aktivitäten einer Immobilienhandelsgesellschaft mit Sitz in Reggio Emilia belegt. Teilhaber sind die heutigen Besitzer der Disco, die Gebrüder Muto, und Grande Aracri. Sie waren zwar nicht offiziell gemeinsam in Bezug auf die Discothek geschäftlich tätig, das ist wahr. Aber bei vielen anderen Projekten. Belegen lässt sich damit jedenfalls, dass sich die heutigen Teilhaber und Salvatore Grande Aracri sehr gut kannten.
    Luis wirft mir einen erschütternden Blick zu. Dann, von einem Augenblick auf den anderen, strahlt mich sein von Blutergüssen übersätes Gesicht wieder an. Seine Gedanken drehen sich bereits um die nächsten Partys der Mailänder Szene. Das, was ihm widerfahren ist, die Schläge, die ihm verpasst wurden, betrachtet er als annehmbares Risiko für Abende mit maximalem Vergnügen. »Nächsten Samstag ist Ralf im
Madison
zu Gast, ein Hammer-DJ, den ich auf keinen Fall verpassen darf«, sagt er mit einem nur noch ansatzweise Schmerz verratenden, freudestrahlenden Lächeln auf den zerschundenen Lippen.
    Wir haben Freitag. Seit ich Luis zur Notaufnahme brachte, ist eine Woche vergangen. Eine weitere Runde voller Wochenendvergnügungen im Mailänder Nonstop-Nachtleben steht vor der Tür. Mein Handy klingelt. Es ist Luis. »Hast du heute Abend schon was vor? Ich kann dich ins
Café Solaire
reinbringen, Türsteher hin oder her. Aber dieses Mal ohne k. o. zu gehen, ich versprech’s dir. Ich hab nur Päckchen für mich selbst dabei. Diesmal verkaufe ich nichts, die Türsteher werden mich nicht rausschmeißen.« Ich höre aus seiner Stimme heraus, wie sehr er sich auf den Abend freut. Die erfahrene Demütigung zählt für ihn nicht. Er will zurück in die »weißen Nächte«, die auf ihn in den Clubs der ’Ndrangheta warten. Er kann es kaum erwarten, sich die erste
Line
reinzuziehen, die ihn zurückbringen wird in jene Matrix der Realität, wo alles möglich ist und er endlich wieder glücklich zu sein kann. Kokain ist für Jungs wie Luis eine Metapher für das Leben. Eine Existenzform, die für einen kurzen Moment dauerhaft zu sein vorgibt. Für die Zeit, die es braucht, um eine
Line
zu ziehen, high zu werden und dann wieder abzustürzen. Die
Line
ist das Symbol für eine Gesellschaft, die vom Egoismus des permanenten Wettbewerbs ausgeglüht wird. Der Egoismus hinterlässt im Organismus genauso verheerende Spuren wie das Kokain. Er macht ihn sich zu eigen und greift direkt aufs Hirn zu. Davon kommt man nur schwer wieder runter. Geld ausgeben, konsumieren, sich was durch die Nase ziehen, um nicht zusammenzuklappen, das ist das Motto, das Luis in Bewegung hält. Die Kassen der ’Ndrangheta füllen sich immer weiter.

6.
SEINE HOH GESUNDHEIT, DER BOSS
    Auch Peppe hatte die Gegend um Locri verlassen. Im Gegensatz zu mir aber erst nach dem Abitur. In Kalabrien steht man dann vor einer grundlegenden Entscheidung. Ob man aus dieser sonnenverbrannten Region ohne Entwicklungsmöglichkeiten fortgeht oder dort bleibt und sich – während man auf den erhofften Job wartet – mit Gelegenheitsjobs durchschlägt. Dem Gesetz nach hat jeder ein Recht auf Arbeit. Aber in Süditalien ist dieses Recht nur in Form von Vergünstigungen oder Vorzugsbehandlung durch einen Paten zu bekommen. Und um den Beruf, für den sich Peppe entschieden hat, auszuüben, hätte er in seiner alten Heimat mit der »ehrenwerten« Gesundheitsindustrie zusammenarbeiten müssen. Er hätte dem »Biest« direkt in die Augen schauen und die üblichen Rücksichtslosigkeiten ertragen müssen. Aber das wäre noch längst nicht alles. Als Arzt in Kalabrien tätig zu sein, kann gefährlich, mitunter sogar tödlich sein. Denn auch hier lauert die ’Ndrangheta, die im Gesundheitssektor ein neues lohnendes Geschäftsfeld erkannt hat.
    Peppe hatte seinen Entschluss getroffen. Er ging weg und fing ein Medizinstudium in Pavia an. Nach dem Abschluss, auf dem Weg zu höheren Weihen, begann die Ochsentour in den Krankenhäusern. In der Warteschleife, hoffend auf eine freie Stelle. Als »Frischling« waren ihm die überlangen Schichten vorbehalten. Das hieß: kein Privatleben, dafür Prekariat und unsichere Zukunftsaussichten.
    Dann die

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