Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
passierte, die 2006 nach dem Mord an Francesco Fortugno, dem Vizepräsidenten des Regionalparlaments, wegen mafiöser Unterwanderung aufgelöst wurde. Als sie Fortugno in Locri erschossen, direkt vor dem Wahllokal, in dem er seine Stimme abgegeben hatte, war er – gewählt von den Abgeordneten des linksliberalen Wahlbündnisses
La Margherita
– gerade in sein neues Amt aufgerückt. Zuvor war er Chefarzt der Notaufnahme des Krankenhauses von Locri, das als völlig von der ’Ndrangheta unterwandert gilt. Nach seiner Ermordung ging ein Aufschrei der Entrüstung durch die Medien, der dazu führte, dass die lokale Gesundheitsbehörde unter die Aufsicht eines Staatskommissars gestellt wurde. Während umfangreicher juristischer Ermittlungen gegen die bisherigen Amtsinhaber der Behörde wurden eine umfangreiche Verschwendung von Steuergeldern und die unberechtigte Vergabe von Geldern an Privatkliniken aus dem Umfeld der ’Ndrangheta festgestellt.
Bis heute unbekannt ist der Name des Spitzenmediziners, der die Flucht von »Ciccio Pakistan« ermöglichte und ihn an die
Maugeri
-Klinik in Pavia überwies. Mitte Juli 2011 kam während des vierten Sitzungstages des »Infinito«-Prozesses mit 38 Angeklagten (unter ihnen Carlo Chiriaco) ein Detail zur Sprache, das für viel Aufsehen sorgte und nicht wenige Zweifel an der Legitimität hervorrief. Die Ermittlungen gegen die Gesundheitsbehörde von Pavia, welche von einer nach der Verhaftung Chiriacos eingesetzten Kommission der Präfektur durchgeführt wurden, wurden zur Geheimsache erklärt. Eine umfangreiche Untersuchung, die auf Vernehmungen von 6 000 Personen, darunter Angestellte und Auftragsnehmer, und der Analyse von Hunderten von Dokumenten beruht. »Es ist schon sehr bedenklich, dass der italienische Staat einerseits Chiriaco auf die Anklagebank setzt, und andererseits mögliche Entlastungsindizien der Geheimhaltung unterwirft«, äußerte sich Mazza, der Rechtsbeistand von Chiriaco, in den Verhandlungen. »Wir verlangen, dass das Gericht direkt beim zuständigen Minister interveniert und eine Kopie der Untersuchungsergebnisse anfordert.« Die Untersuchung dauerte sechs Monate und kam nach Aussagen des Ex-Präfekten Buffoni, bis Juni 2011 im Amt, zu einem guten Ende: »Die Ergebnisse der Untersuchung sind beruhigend.« Im Übrigen »machen sie uns stolz auf unser Gesundheitssystem«. Aber warum werden diese Untersuchungsergebnisse und die entsprechende Bewertung des Innenministers dann geheim gehalten? Die Antwort der Präfektur auf den entsprechenden Antrag der Anwälte Chiriacos fiel folgendermaßen aus: »Das Dokument wurde gemäß dem Gesetz 124/2007 (Regulierung des Staatsgeheimnisses) für streng vertraulich erklärt.« Hierfür gäbe es Motive (welche nicht weiter ausgeführt wurden), die im Bereich »der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit sowie dem Schutz von Dritten« lägen, eine Veröffentlichung sei daher nicht möglich.
Mazza bestreitet, dass das Staatsgeheimnisgesetz hier korrekt angewendet wurde. »Dieses Gesetz«, so erklärte er vor der Presse, »verbietet eigentlich dessen Anwendung in einem solchen Fall. Daher protestieren wir gegen die Entscheidung des Ministers und des Präfekten, die wir als gesetzlich nicht rechtens ansehen. Das ist ein einmaliger Fall, nicht einmal im Fall der Gemeindeverwaltungen, die wegen mafiöser Unterwanderung aufgelöst wurden, wurde es angewendet.« Davon betroffen waren in Italien zweihundert Gemeinden sowie drei Gesundheitsbehörden. Mazza zufolge ist in der Untersuchung, die eigentlich nichts Geheimnisvolles enthülle, »der Beweis für die Unschuld Chiriacos enthalten«, weil sie die Verdächtigungen der Staatsanwälte widerlege. In der Tat hat das Gericht wenig später beim zuständigen Minister Einsicht in die Akten erbeten. Sollte Minister Maroni ein zweites Mal auf Staatsgeheimnis plädieren, könnten sich die Richter an den Parlamentspräsidenten wenden. Und sollte auch dies nichts fruchten, bliebe ihnen immer noch als letzter Ausweg der Gang zum Berufungsgerichtshof.
Chiriaco war in die Untersuchungen verwickelt, weil man den flüchtigen Straftäter »Ciccio Pakistan« alias Francesco Pelle in seinem Zuständigkeitsbereich entdeckt hatte. Das war auch der Grund, weshalb man ihn der Begünstigung beschuldigte. »Zu diesem Punkt haben wir den Antrag gestellt, das Verfahren einzustellen.« Es gebe keine belastenden Anhaltspunkte, dass Chiriaco tatsächlich die Flucht des Mafia-Bosses gedeckt habe. »Das hat
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