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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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bestraft solche Schwächen ohne Gnade. Jemanden zu verpfeifen kommt einem Selbstmord gleich. Entweder ermorden sie dich, oder sie bringen dich dazu, dich selbst umzubringen. Wie Bruno Piccolo, denkt Pasquale. Wenn er aussagt, würde er seine eigene Frau verraten. Schande käme über sie. Würde sie ihn verlassen und Trauerkleidung tragen? Zu viele Gründe, die gegen eine Kooperation mit der Polizei sprechen, für einen Mann, dem von klein auf die symbolische Liturgie der ’Ndrangheta vorgelebt wurde. Auch wenn er kein direktes Mitglied ist, so ist ihm die ’Ndrangheta-Kultur doch in Fleisch und Blut übergegangen. Und wenn sie erst mal in dein Herz und in dein Hirn eingedrungen ist, ist es fast unmöglich, sie wieder aus dem Leib zu bekommen. Er weiß, dass die Reaktionen seines familiären Umfelds vom geltenden Mafia-Wertesystem bestimmt würden. Für Pasquale gibt es kein Vertun.
    Als Erstes hätte er es mit der Polizei und den Staatsanwälten zu tun. Aber nicht nur mit ihnen, vermutlich. Er fühlt, dass nach der umfangreichen Verhaftungswelle vom Juli das Ende nahe ist. 304 Verhaftungen zwischen der Lombardei und Kalabrien. Seine Geschichte nähert sich dem Ende. Und der Gedanke an seinen Freund Carlo, der hinter kalten Kerkermauern sitzt, lässt ihn nachts nicht mehr ruhig schlafen. Es ist nicht nur das Gefühl, die Anti-Mafia-Behörde an den Hacken zu haben. Es ist vor allem die unangenehme Erkenntnis, sich ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt zu fühlen. Wenn du die geheimen Netzwerke der ’Ndrangheta kennst und vor Gericht aussagst, hängt dein Leben am seidenen Faden. Es geht nicht nur um die ’Ndrangheta-Verbrechen, die seinen Kopf füllen. Es geht um das innere Gleichgewicht, das ihm langsam entgleitet. Und Pasquale erträgt die Rolle des Seiltänzers nur schwer. Sie ist Teil dessen, was ihn langsam, aber sicher umbringt.
    Wie jeden Morgen trifft Pasquale im
San-Paolo
-Krankenhaus in Mailand ein. Er arbeitet dort als leitender Angestellter. Sie kennen ihn dort alle. Um elf Uhr hat er ein wichtiges Treffen mit dem Führungsgremium der Klinik. Nach dem Termin verlässt er das Haus wieder. Und denkt an das, was sein Leben einmal gewesen ist. Er erinnert sich daran, wie er einmal Teilhaber einer Treibstoffgesellschaft war, und er denkt an das Scheitern dieses Projekts zurück. Dann das Krankenhaus. Kalabrien. Die ’Ndrangheta-Atmosphäre, die ihm seit frühester Kindheit an vertraut ist. Die Erinnerungsfetzen überstürzen sich. Er denkt wieder an Chiriaco. An die Bosse. An Cosimo Barranca, den lokalen ’Ndrangheta-Machthaber von Mailand. Und an jene Begegnung in der Via Pirelli in Mailand während der Wahlkampagne, als Chiriaco und Barranca sich zum Wahlkomitee von Angelo Giammario begaben, dem Regionalabgeordneten des
Partito delle Libertà
(dt.: Partei der Freiheiten).
    Und er erinnert sich an die Diskussionen mit Chiriaco über die ’Ndrangheta, die öffentliche Auftragsvergabe und die Aufteilung des Kuchens im lombardischen Gesundheitswesen. Er erinnert sich in seinem von Angst paralysierten Hirn daran, wie sie seiner Frau Sonia einen Arbeitsplatz versprachen. Dann überlappen sich die Gedanken. Der Druck wird immer stärker. Die letzten Momente im Denken von Pasquale Libri sind rabenschwarz, eingefärbt wie die finstere Nacht. Dann ist da nur noch Leere.
    Sie finden ihn am Fuß der Treppe, die hinauf bis ins achte Stockwerk führt. 25 Meter im freien Fall. Und Ende. Libri fällt in einen Zwischenraum von einem Meter Durchmesser. Sein Schädel knallte mehrfach gegen Treppenvorsprünge, bevor er auf dem Marmorboden aufschlägt. Die edle Steinfläche färbt sich rot.
    Niemand hat etwas gesehen. Selbstmord, sagen die Experten. Die Ermittlungsbeamten folgen zunächst dieser These. Kurze Zeit später ändern sie ihre Meinung. Angeblich wurde Pasquale kurz vor seinem Tod mit zwei Unbekannten gesehen. Dann gibt es noch das rätselhafte Polohemd, das jemand um den Kopf des Toten gewickelt hat. Und warum hätte Pasquale sich im Treppenhaus in den Tod stürzen sollen? Rundum gibt es zahlreiche Fenster, die sich dafür besser geeignet hätten. Langsam wird ein Krimi daraus. Die Staatsanwälte nehmen auch andere Möglichkeiten ins Visier. Wurde er umgebracht, weil er Einzelheiten von Intrigenspielen zwischen Politik und Gesundheitswesen kannte, deren Enthüllung kompromittierend für beide sein könnten? Oder war es doch Selbstmord?
    Sonia ist verzweifelt. »Er hat nicht mal einen Abschiedsbrief

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