Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Kontakt mit ihnen zu treten und sie zu »beraten«. Im Norden sorgen die Weißkittel der Mafia dafür, dass diese für ihre subjektiven Interessen innerhalb der lombardischen Lokalpolitik ein Forum erhält. Von den einzelnen Gemeinden bis an die Spitze der Region und der Provinz. Lange verbarg die ’Ndrangheta ihr Interesse am ökonomischen und sozialen Bereich der Lombardei. Um schließlich, in einem günstigen Moment, ihr tödliches Gift in einen von Korruption zerrütteten Organismus zu injizieren, Gift, das dafür sorgt, die letzten Widerstandsnester von Ethik und Anstand in einer verführbaren politischen Klasse mit dem Raffinement der Mafia zu zersetzen. Eine politische Klasse, die sich am anderen Ende der sozialen Skala hart und erbarmungslos gegenüber Einwanderern und Armen zeigt.
An Politikern, die das öffentliche Interesse so deformieren, dass es den Interessen der Clans zugänglich wird, herrscht in der Lombardei kein Mangel. Das lässt die Mafiosi in der Lombardei letztendlich glauben, in der Lombardei gebe es eine Masse von unverdächtigen und manchmal sogar unbewussten Unterstützern der Mafia. Äußere Mitläufer, die das menschliche Kapital der Mafia bilden, so definieren es die Staatsanwälte. Wie zum Beispiel der Mediziner und Direktor der Gesundheitsbehörde von Pavia, Carlo Chiriaco, der lange Zeit als Spitzenvertreter der ’Ndrangheta im Gesundheitswesen der Lombardei galt.
Den Ermittlungsbeamten gelang es, ihn dabei zu filmen, wie er das Büro des Abgeordneten Giancarlo Abelli betrat. Die beiden kennen sich, Abelli selbst gab es öffentlich zu. Es kann sein, dass der Abgeordnete Abelli die problematische Vergangenheit, die dunkle Seite von Chiriaco nicht kannte, sondern den damaligen öffentlichen Eindruck von der unbefleckten Weste des Mediziners, seines Engagements für die Interessen der Region teilte.
In Untersuchungshaft genommen wurde Chiriaco auf Antrag des Gerichtshofs in Mailand. In den Akten wird seine Vergangenheit so beschrieben: »Chiriaco wurde für einfache und schwere Erpressung in Pavia am 26. September 1991 verurteilt, zusammen mit Renato Ferrari, Fortunato Pellicanò und Fortunato Valle. Seine Komplizen wurden abschließend einzeln verurteilt, während er nach zwei Siegen in Berufungsverhandlungen einen Freispruch wegen Verjährung erzielen konnte. Aus den abgehörten Telefongesprächen und den Abhörmaßnahmen vor Ort geht hervor, was sich damals wirklich abgespielt hat. 1991, als Chiriaco schon stellvertretender Direktor im Gesundheitswesen und Abteilungsleiter für Sicherheit in der universitätsmedizinischen Poliklinik
San Matteo
von Pavia sowie Präsident der angeschlossenen Fürsorge-Institutionen war, verstrickte er sich in einen Fall schwerer Erpressung, verließ aber zum Abschluss des anschließenden Prozesses mit List und (strafrechtlich nicht belangbaren) Lügen den Gerichtssaal als freier Mann. Und das, obwohl es sich um eine Straftat handelte, die in typisch mafiöser Art und Weise betrieben worden war, und an der er aus freien Stücken mitgewirkt hatte.«
Das ist nicht der einzige Fleck in der Vergangenheit des Spitzenmediziners. 2007, ein Jahr bevor er Direktor der Gesundheitsbehörde wurde, wurde er abschließend wegen Bruch des hippokratischen Eides verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Sergio Daffra – obwohl er als Zahntechniker nicht über die notwendigen medizinischen Abschlüsse verfügt – mit Wissen von Chiriaco zahnmedizinische Behandlungen vorgenommen hatte. Zusammenstöße mit der Justiz, die seine Karriere nicht weiter beeinträchtigten. Chiriaco ist ein Mediziner mit Geheimnissen. Er selbst gab im Verlauf einer abgehörten Unterhaltung zu, den Tod von Menschen in Kauf genommen zu haben.
»Mit 19 stand ich das erste Mal vor Gericht. Es ging um Mordversuch, aber die Gesetze kommen uns ja wunderbar entgegen. Wenn du etwas machst, kannst du dir sicher sein, dass du davonkommst. Wenn du jedoch etwas nicht machst, riskierst du es, verurteilt zu werden. Die ganze Geschichte ist wahr, wir haben versucht, ihn zu erschießen (er flucht), es stimmt, dass wir auf ihn geschossen haben. Das Ganze endete mit einem Freispruch wegen nicht nachgewiesener Beteiligung.« Anschließend beklagte er sich, sechs Monate in Untersuchungshaft zugebracht zu haben. Wie seltsam ist die Gesetzeslage, dachte Chiriaco. Aber nicht weniger seltsam verhält es sich mit dem Gesundheitswesen. Vergleichbar einer verstopften Arterie, bedroht von Klumpen diffuser
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