Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
und latenter Macht, die das kollektive Wohl dem Eigeninteresse von Politik und Mafia unterordnen.
Die Stimmabgabe ist Ausdruck der Macht des Souveräns und erfolgt durch das Volk. Sie kann zur Handelsware werden. Ein Recht, das man gegen Vergünstigungen und garantierte Vorzugsbehandlung eintauschen kann. Die Mafia-Mentalität des Stimmenkaufs hat sich mittlerweile bis in den letzten Winkel des ausgepowerten Italiens verbreitet.
Doch bis heute verbindet die große Mehrheit der Italiener das Phänomen der Mafia ausschließlich mit den südlichen Landesteilen, mit den »Dumpfbacken« vom unteren Ende des Stiefels. Aber die Ereignisse, die Ermittlungen, die Anzeigen der Staatsanwaltschaft und die Berichte der Polizisten zeichnen ein anderes Bild. Wenn Demokratie eine Idee ist, die ständig angestrebt werden muss, dann versperren die Clans den Weg zu echter Demokratie. Auch in der Lombardei generiert die ’Ndrangheta mittels der individuellen Stimmrechte Profite – durch den Verkauf von Wählerstimmen an den Meistbietenden.
Sie zahlt, schmiert, bedroht, isoliert. Sie regiert im Stillen und im Verborgenen. Durch zwischengeschaltete Personen. Sie vergibt Aufträge an Personen, die von diesen in den Regierungsgebäuden umgesetzt werden. Unverdächtige Selbständige mit doppelter Moral. Im Büro oder in der Anwaltspraxis sind sie Erfolgsmenschen ohne Fehl und Tadel. Aber sobald sie unbeobachtet sind, werden sie zu Drahtziehern der Mafia. In den abgehörten Autos und bei geheimen Versammlungen geben sie zu, mit der Mafia zusammenzuarbeiten. Selbst führende Stellungen in der Mafia innezuhaben.
Die Staatsanwälte der Anti-Mafia-Behörde von Mailand schreiben: »Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Cosimo Barranca und Pino Neri versprochen haben, beiden Kandidaten bei den lombardischen Regionalwahlen (Giancarlo Abelli und Angelo Giammario) eine bestimmte Anzahl von Stimmen zu beschaffen. Dies geschah auch durch ›Vermittlung‹ von Carlo Chiriaco, dem führenden Vertreter des Gesundheitswesens in der Lombardei.«
Das sind nicht nur Worte. Die Staatsanwälte konnten auch die entsprechenden Geldsummen beziffern, die den Besitzer wechselten. »Fünfzig bis sechzig Fotokopien«, vermutlich 50.000 bis 60.000 Euro, die Rechtsanwalt Sciarrone, ein Spießgeselle von Giammario, zu diesem Zweck von dritter Seite erhielt, »im Hinblick auf die Regionalwahlen 2010«. Das Interesse der Familie Barranca an der Wahl von Giammario wird offenbar auch durch eine Unterhaltung bestätigt, die Pasquale Barranca (der Bruder von Clan-Chef Cosimo) mit Carlo Chiriaco führte. Darin sagt Barranca, dass seine Tochter »dort, im Viale Monza, die Anrufe für Giammario entgegennimmt«.
’Ndrangheta und Politik verbinden sich nicht nur in Gestalt des Abgeordneten Abelli und des Regionalrats Giammario. In den Mailänder Abhörprotokollen der Operation »Crimine« wurde auch der Name von Antonio Oliviero genannt, gegen den zurzeit im Rahmen eines Strafverfahrens ermittelt wird. Oliviero war früher Abgeordneter in der vom Abgeordneten Penati, dem Chef des linksliberalen Parteienbündnisses der Lombardei, geleiteten Fraktion der Regionalversammlung. Oliviero habe bei den Kommunalwahlen 2009 in Cologno Monzese die Kandidatur von Leonardo Valle in die Wege geleitet, dem Sprössling von Mafia-Boss Francesco Valle. Der Name Oliviero stellt keinen Zufallstreffer dar. Er ist mit der Tochter von Antonia Mancuso, der Schwester der Brüder Pantaleone, Antonio und Cosimo Mancuso, verheiratet. Die Mancuso-Jungs sind die Bosse des gleichnamigen Clans, deren Herrschaftsgebiet die Provinz Vibo Valentia in Kalabrien ist.
Aus den Ermittlungsakten zur Operation »Tenacia« der Anti-Mafia-Behörde von Mailand geht hervor, dass dem ehemaligen Abgeordneten des Berlusconi-Wahlbündnisses PdL und Ex-Regionalrat Massimo Ponzoni, gegen den aber bislang keine Anklage erhoben wurde, Beziehungen zur Mafia »von gegenseitigem Interesse« vorgeworfen werden. Auch Emilio Santomauro, Führungsfigur der christdemokratischen Nachfolgepartei UdC, zuvor in der
Alleanza Nazionale
aktiv, fiel in diesem Zusammenhang auf. Am 25. Januar 2000 war er in eine Schießerei vor seinem Büro verwickelt. Als Strohmann des Mafia-Clans Guida wurde gegen ihn ermittelt, die Anklage jedoch wieder fallengelassen.
Auch die
Lega Nord
, die sich vor allem durch ihre Fremdenfeindlichkeit auszeichnet, zeigte sich einem Flirt mit der Mafia nicht abgeneigt. Angelo Ciocca, der mit einem Vorsprung von 18
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