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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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welche die Zahl von Waisen und Witwen ansteigen lassen. Zunächst hofft Alessio noch darauf, in die Fußstapfen des Vaters treten zu können. Wie sein Vater, möchte er eine andere ’Ndrangheta ins Leben rufen. Eine ’Ndrangheta, die unabhängig ist von der Zentrale in Kalabrien. Doch in dieser Welt müssen die Söhne die Strafen der Väter begleichen. Das ist das Gesetz in der ’Ndrangheta. Alles andere wäre eine Verletzung ihrer ehernen Regeln.
    »Alessio« wird nicht umgebracht wie sein Vater. Die ’Ndrangheta bestraft ihn auf eine andere Weise, aber doppelt so hart: Sie sorgt dafür, dass er einerseits seinen Vater verliert und andererseits für seine abartigen Hobbys ins Gefängnis wandert. Das alles vermag die ’Ndrangheta. Die in vielen Legenden verbreiteten Accessoires der Macht wie Reichtum und Ansehen stehen lediglich den oberen Bossen zur Verfügung. Diese sind jedoch gezwungen, den Ball flach zu halten und ihren Reichtum sorgfältig zu verbergen. Denn sonst laufen sie Gefahr, dass er im Zweifelsfall beschlagnahmt wird. Angehäufte Reichtümer, Tod, Gefängnis, Beschlagnahmung. Diese Begriffe kennzeichnen die unsichere Zukunft, die das Schicksal der Mafia-Bosse überschattet, sei es in der Cosa Nostra, in der ’Ndrangheta oder in der Camorra.
    Nach der Ermordung seines Vaters legen »Alessio« einige Untergebene nahe, ins Ausland zu gehen. Denn sie gehen davon aus, dass auch er auf der Todesliste steht. Aber das Vorgehen der
Provincia
ist generell rational, auch wenn es mitunter zu emotionalen Ausbrüchen kommen kann. Öffentliche Aufmerksamkeit erregende Massaker wie in Duisburg wollen die obersten Bosse so lange es nur geht vermeiden. »Alessio« Novella wird zunächst einfach von künftigen Entscheidungen ausgeschlossen. Er ist in den oberen Rängen der ’Ndrangheta nicht mehr willkommen. So ist er auch bei dem berühmten Gipfeltreffen im Veranstaltungszentrum von Paderno, das nach den beiden berühmten ermordeten Staatsanwälten Falcone und Borsellino benannt ist, abwesend, auf dem der interimistische Führer der
Lombardia
bis zur endgültigen Entscheidung der
Provincia
bestimmt wird.
    Und der dreißigjährige »Alessio«, der von nun an mit dem Makel seines abtrünnigen Vaters leben muss, verfügt nicht einmal mehr über die nötigen Unterstützer, um dem Affront mit Waffengewalt zu antworten. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Rückzug anzutreten und seine Verhaftung abzuwarten. Im Juli 2010 ist es dann so weit: Die Ermittlungsbeamten nehmen ihn im Zusammenhang mit jener Mega-Operation fest, die insgesamt dreihundert Verdächtige entlang der Achse Kalabrien-Lombardei in Haft bringt.

10.
DER EMILIA-SCHAUPLATZ
    Er ist bereit, die auf dem Tisch liegenden Karten auszutauschen, um seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Ob sie weiß sind oder schmutzig-blutig, ist ihm dabei egal. Hauptsache, sein Einkommen wird gesteigert und alles ist steuerfrei. Denn trotz seines nicht geringen Einkommens als Bankdirektor ist Giovanni unzufrieden. Schöne Autos, festliche Abende, Kokain, Luxusrestaurants, Nobeldiscos. All das gefällt Giovanni sehr. Und um weiter mitspielen zu können, reicht das ehrlich verdiente Bankeinkommen einfach nicht aus. Sicher würde es weniger Stress bedeuten, sich einfach mit seinem Gehalt zufriedenzugeben, denkt er sich im Stillen. Aber was wäre das für ein armseliges Leben! Er weiß, dass es ihm weitaus besser geht als den zwielichtigen Gestalten, die ihn wegen Vergünstigungen, Hilfe, krummen Geschäften in der Bank aufsuchen. Schon einige Male sind Mafiosi, mit denen er zu tun hatte, wegen Geldwäsche verhaftet worden. Aber er selbst nicht. Er weiß, dass die Grauzone in der Lombardei selten juristisch unter Feuer genommen wird. Es ist alles eine Frage der Bilder, denkt er sich. Sie würden es niemals zulassen, dass der Mythos der Emilia-Romagna, der auf den Klischees von Gastfreundschaft und Solidarität beruht, unter dem Sturm skandalöser Enthüllungen ethischer Abgründe beschmutzt würde.
    Giovanni ist von einer berauschenden Form des Zynismus befallen. Er betrachtet die berufsmäßige Zusammenarbeit von Unternehmern und Mafiosi als normale Spielart des wirtschaftlichen Wettbewerbs. Im Zeitalter des Turbokapitalismus, in dem auch der Konsum und die menschlichen Beziehungen ein aberwitziges Tempo angenommen haben, hält Giovanni diese Zusammenarbeit für den einzig gangbaren Weg, um nicht in diesem stinkenden Schlamm unterzugehen und sich nicht mit ethischen

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