Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
eingeprägten. 2004 begann der Krieg. »Blut fordert weiteres Blut«, Rachefeldzug folgte auf Rachefeldzug. Die Fehde zwischen den Familien Arena und Nicoscia sorgte für viele Tote auf den Straßen von Isola. Kriegsgerät wie Panzerfäuste und Maschinengewehre kam zum Einsatz.
An den Seiten der beiden Clans aus Isola fanden sich zwei weitere mächtige Clans ein, die Dragones und die Grande Aracres aus Cutro (bei Crotone). Der Dragone-Clan, angeführt von »Toto« Dragone, unterstützte die Familie Arena. Daraufhin schlug sich der der Grande-Aracri-Clan, angeführt von Nicolino »Manuzzo« Grande Aracri, auf die Seite der Familie Nicoscia. Während die Spannungen zwischen Cutro und Isola Capo Rizzuto stiegen, festigten sich die strategischen Bündnisse. Jede dieser Familien betreibt Geschäfte im Raum Crotone, aber auch in der Emilia-Romagna. In Reggio Emilia, Modena, Parma und Piacenza sowie in der Lombardei, wo die Clans der Nicoscias und der Arenas die führenden Positionen innerhalb der örtlichen ’Ndrangheta-Ableger einnehmen.
Die Nicoscias sicherten sich gemeinsam mit dem Paparo-Clan aus Isola di Capo Rizzuto einen Großteil der Bauaufträge für das neue italienische Hochgeschwindigkeits-Schienennetz. Die Geschäftsinteressen der Clans aus dem Gebiet von Crotone haben die Grenzen des Heimatgebiets längst überschritten. Die engmaschige Präsenz im Norden hat die Clans in die Lage versetzt, kongeniale Geschäfte miteinander zu tätigen und so mit ihrem System der ausgehebelten Konkurrenz, der heimlichen Absprachen und Kartelle die ehrlichen Unternehmen in den Ruin zu treiben.
Bis 2004 führte Carmine Arena den gleichnamigen ’Ndrangheta-Clan. Im Oktober 2011 wurde er bei einem Attentat getötet, bei dem Panzerfäuste und Maschinengewehre eingesetzt wurden. Isola unterschied sich nur noch wenig von Kabul, Kalabrien nur noch wenig von Afghanistan. Bei diesem Anschlag nach Guerilla-Art wurde auch Giuseppe Arena verletzt, der Cousin und Statthalter von Carmine. Giuseppe war 2006 verhaftet worden, zusammen mit Francesco Gentile, einem weiteren Cousin des Bosses, dem die Aufsicht über die Geschäfte des Clans in der Emilia-Romagna anvertraut worden war, zwischenzeitlich aber wieder freigekommen. Nach der Verhaftung von Giuseppe Arena rückte Fabrizio Arena, Sohn des Oberbosses Carmine, auf die Chefposition auf.
Die Abfolge der Mafia-Massaker ist erschreckend: Nach dem tödlichen Anschlag auf Carmine Arena entkommt einen Monat später Salvatore Arena, ein weiteres Mitglied der Arena-Familie, auf wundersame Weise dem Kugelhagel seiner Feinde. Wieder einen Monat später sind die Nicoscias dran. Pasquale Nicoscia, Cousin des gleichnamigen Oberbosses Pasquale »Macchietta« Nicoscia. Es ist kein Zufall, dass Pasquale direkt vor seiner Haustür erschossen wird. Die Schande, von einem Mord direkt vor dem eigenen Wohnhaus getroffen worden zu sein, wird getilgt und mit gleicher Münze heimgezahlt. Kodex und Liturgie der ’Ndrangheta-Symbolik, die man streng beachten muss, wenn man die Fakten, Exekutionen und Vorgehensweisen der Clans richtig deuten will. Archaik gemixt mit Modernität. Es ist eines der wiederkehrenden Geheimnisse der ’Ndrangheta, dass sie niemals von ihren Traditionen und ihren Gepflogenheiten krimineller Qualität abweicht.
Wie oft ist zu lesen, dass eine Gesellschaft dann zum Untergang verurteilt ist, wenn sie nicht in der Lage ist, die in der Neuzeit eroberten Besitztümer mit den in die Vergangenheit ragenden Wurzeln zu verbinden, welche die Eroberungen ermöglichten. Die ’Ndrangheta-Familien beachten dieses Prinzip, das man als ununterbrochenen Austausch zwischen Vergangenheit und Zukunft definieren könnte, sehr genau. Sie tun dies nicht, um einen positiven Beitrag zur Gesellschaft beizusteuern, sondern weil sie ihre Profite steigern und ihre Macht weiter ausbauen wollen. Eine obsessive Sucht, die vor nichts halt macht, nicht einmal vor dem menschlichen Leben. Die ältere Generation gibt die jahrhundertealten Prinzipien an die jüngere Generation weiter. Die jungen ’Ndrangheta-Kriminellen, von denen viele mittlerweile als »Unternehmer«, Ärzte und Rechtsanwälte arbeiten, passen diese dann der Gegenwart an. Während der Jahre, in denen die Clans Panik auf den Straßen von Isola di Capo Rizzuto verbreiteten, haben sie im Norden erfolgreich Geldwäsche betrieben und ihre Profite kontinuierlich gesteigert.
Für die Mafien kennt das Geschäft keine Atempause, nicht einmal in Zeiten des
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