Mafia Princess
Beteiligten.
4 Zimmerservice
»Wir sehen ihn hier, wir sehen ihn dort …
Ist er im Himmel? – Ist er in der Hölle?
Einmal ist er hier, dann wieder fort.«
Emmuska Baronin Orczy, Das scharlachrote Siegel , 1905
Dad war ein Magnat dieser neuen Industriezweige, ein Verbrecherkönig, und so lebte und handelte er auch. Er verwandelte sich allmählich in einen richtigen Paten. Unter seinem Befehl standen Dutzende Soldaten. Er schien überall und nirgends zu sein. Er wurde ständig wegen irgendwelcher Vergehen von der Polizei gesucht. Doch nie war er lange an ein und demselben Ort. Finster blickte er auf den Fotos seiner diversen Personalausweise. In der Familie nannte man ihn den »Zigeuner«, weil er ständig Grenzen überquerte, innerhalb von Europa, aber auch bis in die Türkei und Nordafrika.
Seine Kommandozentrale war Mailand. Firmen, Bars und Restaurants standen auf seiner Lohnliste, dazu, was noch wichtiger war, die Behörden. Das war Großmutters Spezialität, liebevolle Fürsorge nicht nur in der Familie, sondern auch in geschäftlichen Dingen zu zeigen. In einer Art Hackordnung sortierte sie die Anwälte, die zu Amtsrichtern führten, die wiederum die Richter höherer Gerichte kannten, die man dann ansprechen und bestechen konnte. Der ganze Korruptionsprozess war wie ein Kartenspiel, aus dem sie bloß die richtige Karte ziehen musste.
Und Dad wechselte genauso schnell seine Zuneigung. Nur selten hatte er italienische Freundinnen. Von überall aus der Welt erschienen sie und tauchten an seinem Arm auf. Inzwischen achtete Mum darauf, dass sie sich gut mit ihnen stellte, denn sie wollte, dass ich in seiner Nähe sein konnte. Es fiel ihr nicht sonderlich schwer, denn sie hatte Dad nie geliebt. Sie ließ einfach los. Zu einer Freundschaft zwischen den beiden kam es allerdings auch nicht; sie respektierten einander nur meinetwegen.
Ich verstand mich gut mit den meisten Mädchen. Melanie, deren Vater ein hohes Tier bei der englischen Luftwaffe war, behandelte mein Haar mit dem Läusekamm, was nun wirklich nicht zum Pflichtprogramm einer Geliebten gehörte! Ich übernachtete ein paarmal bei ihr und Dad, was ich sehr mochte, weil ich dann bei ihm sein konnte. Es lief da unterschwellig etwas ab, was ich mit sonst keinem erlebte. Diese gewisse Vater-Tochter-Beziehung. Das Zusammensein mit ihm war aufregend. Dad war immer sehr liebevoll. Er alberte mit mir herum, wir hatten viel Spaß.
Es gab viele Mädchen, aber Effie aus Paraguay – Miss Paraguay – war etwas Besonderes. Sie sah aus wie eine echte Inka-Frau, aber benahm sich wie ein Mann. Sie hatte eine von diesen Aztekenfrisuren und saß bei meiner Großmutter und rauchte Zigarre! Die Familie fand das toll.
Dad hatte ein gutes Leben. Er zog in eine Luxuswohnung nach Milano 2, einem Wohnviertel in Segrate, einer neuen Stadt, die eine von Silvio Berlusconis Firmen gebaut hatte. Auf dem Gelände fuhren keine Autos, es gab Brücken und breite Gehwege, eine Sporthalle und einen See. Es war sehr vornehm und weit weg von dem Leben, das Mum und ich führten. Doch wenn Mum je etwas dazu sagte, konterte er: »Meine Mutter kümmert sich doch um euch, oder?«
Trotzdem konnte Dad seinen Kopf nicht immer durchsetzen. Er hatte ein enges Verhältnis zu einer atemberaubenden Französin, doch die verguckte sich in seine Schwester, meine Tante Mariella. Die beiden trafen sich gewöhnlich bei meiner Mutter. Einmal kam ich von der Schule nach Hause und sah sie auf dem Rücksitz von unserem blauen Mini mit dem weißen Dach. »Was machen die denn da?«, fragte ich verwundert. »Was macht denn Dads Freundin mit meiner Tante?«
So sehr sich Mum auch bemühte, es geheim zu halten und den beiden zu helfen, Dad fand es heraus und schlug meine Tante. Er verletzte ihre Wirbelsäule, machte sie beinahe zum Krüppel. Seiner Freundin tat er nichts. Doch Verwandte durften einen nicht betrügen.
Ich war ein kleines Kind und verwirrt. Ich begriff nicht, weshalb sich alle so aufregten. Mum hatte mir verboten, etwas zu sagen, als ich die beiden miteinander gesehen hatte. Wahrscheinlich dachte sie: »Geschieht ihm ganz recht!«
Dad tat, was immer er wollte, wozu auch immer er Lust hatte, aber er produzierte sich allzu gern, und Großmutters Bestechungsgelder garantierten keinen hundertprozentigen Schutz. 1974 wurde in der Stadtverwaltung plötzlich radikal aufgeräumt. Ein neuer Polizeichef mit eigenen Untersuchungsrichtern wurde ernannt. Es dauert immer eine Weile, bis Korruption das System
Weitere Kostenlose Bücher