Mafia Princess
durchsetzt, und so wurde plötzlich ein Haftbefehl ausgestellt: Emilio Di Giovine sollte wegen Hehlerei belangt werden. Die Jagd war eröffnet.
Großmutters Wohnung liegt in einem Block von etwa zwanzig Wohnungen mit ihren jeweiligen Innenhöfen. Als die Polizei meinen Dad holen wollte, versuchte er zu entkommen. Aber er lief seinen Häschern direkt in die Arme. Doch die hatten kein Fahndungsfoto. Sie hielten ihn an. Musterten ihn. Dann fragten sie: »Wissen Sie, wer Emilio Di Giovine ist?«
»Oh ja, von dem habe ich gehört.«
»Was haben Sie denn gehört?«
»Dass er ein ziemlicher Schlawiner ist.«
»Ist er im Moment in der Nähe?«
»Ich glaube, ich habe ihn vor zwanzig Minuten gesehen.«
»Wissen Sie, wo er ist?«
Dad sah, wie andere Polizisten vorn durch Großmutters Haustür stürmten. Er deutete auf die andere Straßenseite. »Da ist er lang.«
»Aha, danke!«
Dad hatte seine damalige Freundin um die Ecke geschickt. Dort holte er sie ein, sprang mit ihr in eine Straßenbahn und verschwand. Das war sein Stil. Nie geriet er in Panik. Er stellte sich den Polizisten und nahm sie auf den Arm. Das liebte er.
Die Zeitungen verglichen ihn mit dem Gentlemandieb Arsène Lupin, einer eleganten französischen Romanfigur, aus der gerade, als ich aufwuchs, ein Comic gemacht wurde. Die Leute, die er mit viel Stil und schillernder Persönlichkeit austrickst, sind üblere Gestalten als er selbst. Lupin ist eine Art Robin Hood, wie Raffles oder Simon Templar. Wie bei diesen Vorbildern entwickelte sich ein regelrechter Kult um Dad.
Immer wieder suchte die Presse nach neuen Vergleichen. Nach seiner nächsten Tat nannte man ihn in einem Atemzug mit Rocambole, einem weiteren beliebten Antihelden der Literatur. Rocambolesk ist das Etikett, mit dem man jedes fantastische Abenteuer versieht. Und Dad hatte viele rocamboleske Augenblicke.
Die enorme mediale Aufmerksamkeit setzte die Polizei unter immer größer werdenden Druck. Schließlich wurde Dad im Sommer 1974, er war gerade fünfundzwanzig Jahre alt, wegen Diebstahls vor Gericht gestellt. Man verurteilte ihn zu einem Jahr Gefängnis, abzusitzen in der Strafvollzugsanstalt San Vittore, Mailands größter Strafanstalt, die wegen ihrer Sicherheitsmaßnahmen berüchtigt war.
Diese Sicherheit bekümmerte Dad genauso wenig wie das Gesetz. Schließlich war er Mafioso. Gerade einmal fünf Wochen hatte er eingesessen, als ihn sein Bruder besuchte. Francesco ist fünf Jahre jünger als Dad, aber sie ähneln einander wie Zwillinge. Dad hatte die Nase voll vom Eingesperrtsein.
Er und Onkel Francesco unterhielten sich eine Weile, und dann bat ihn Dad, herüberzukommen und sich einen Moment auf den für Häftlinge vorgesehenen Stuhl zu setzen. Im nächsten Augenblick ging Dad zum Besucherausgang und spazierte hinaus. Dann wurde Onkel Francesco in Dads Zelle geführt.
Der protestierte: »Was soll denn das? Ich bin Francesco Di Giovine, nicht Emilio Di Giovine!«
Da erst begriffen die Wärter. Die Brüder hatten einen Tausch vorgenommen.
»Ich hatte keine Ahnung, was er vorhatte. Er war so deprimiert. Den einen Moment saß er noch da, den nächsten Moment verlangte er, dass wir die Plätze tauschen. Und dann war er auch schon verschwunden.« Diese etwas verworrene Erklärung gab Onkel Francesco ab. Und Dad war ein freier Mann. Besser gesagt, ein freier Mann auf der Flucht. Typisch Dad!
Die Gefängnisverwaltung hielt es für eine abgekartete Sache, doch der einzige Betrogene war Onkel Francesco. Drei Monate behielt man ihn im Gefängnis wegen Beihilfe zum Ausbruch.
Als Großmutter von der Sache erfuhr, rief sie: »Ach, dieser verflixte Junge.« Niemand wusste, ob das ein Lob oder ein Vorwurf war.
Die Schlagzeilen in den Zeitungen überschlugen sich: » Rocambole in San Vittore.«
Da saß Dad bereits in einem Zug. Von Rom aus machte er ein paar Anrufe. Unter anderem telefonierte er mit Melanie Taylor, die nach Beendigung der Tournee ihrer Tanztruppe nach England zurückgekehrt war.
»Meine Liebste! Meine einzige Liebe! Ich kann ohne dich nicht leben! Ich komme nach England, ich muss dich sehen. Ich muss bei dir sein.«
Er trug ganz schön dick auf. Es war für ihn die ideale Fluchtmöglichkeit, ein sicherer Hafen, wie für ihn geschaffen. Dad fuhr nach Huntingdon, Cambridgeshire, zog zu Melanie und suchte sich einen Job in dem Hotel in Huntingdonshire, in dem sie ebenfalls arbeitete. Noch nie in seinem Leben hatte er in einem Hotel gearbeitet, er hatte überhaupt noch nie
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