Mafia Princess
mich dafür nicht. Da gab es anderes, was mich interessierte – Jungs.
Mum fand Arbeit als Zimmermädchen; gut bezahlt wurde das nicht, aber in den Strandhotels von Blackpool gab es immer genug zu tun. Innerhalb eines Jahres nach unserer Rückkehr zogen wir in eine Mietwohnung nach Poulton-le-Fylde um. Obwohl wir nicht viel hatten, hatten wir doch ein eigenes Leben. Aber ich träumte noch von Italien und dachte ständig an meinen Dad. Würde er anrufen? Würde er zu Besuch kommen? Ich vermisste ihn, ich vermisste das Leben in Mailand.
So konnte ich es kaum glauben, als ein Teil unseres italienischen Lebens plötzlich in England auf der Türschwelle stand. Aus heiterem Himmel kam uns Anfang 1980 Großvater Rosario mit Tante Ritas Mann Onkel Lino besuchen. Ihr Besuch war völlig unerwartet und deshalb umso aufregender für mich. Ich freute mich, Großvater zu sehen, denn er war für mich fast so wichtig wie Dad. Der Besuch war toll, und viel Geld bedeutete er für uns auch. Großvater hatte sich verändert. Die übliche bäuerliche Kleidung war verschwunden, stattdessen trug er einen todschicken Anzug mit Designer-Accessoires. Onkel Lino, den ich immer mit einiger Skepsis betrachtet hatte, wirkte wie sein Zwilling.
Großvater meinte, er wolle mit uns die Königin besuchen. Und tatsächlich fuhren wir zum Buckingham Palace, doch dann sagte er zu mir, sie sei an dem Tag nicht zu Hause. Wir wohnten in einem eleganten Hotel im West End, alle Rechnungen wurden bar bezahlt, und wir sahen uns allerlei Sehenswürdigkeiten an, wie zum Beispiel den Tower. Alles vom Feinsten. Großvater musste sich mit einigen Leuten treffen, aber meistens gehörte seine ungeteilte Aufmerksamkeit uns. Ich fragte Mum, ob wir uns diese ganzen Sachen auch leisten könnten, aber sie lächelte und meinte, ich solle das einfach nur so hinnehmen.
Vor seiner Abreise gab Großvater Mum ein paar hundert Pfund: »Kauf dir und Marisa was zum Anziehen.«
Als mir klar wurde, dass Großvater abreisen wollte, war ich am Boden zerstört. Ich sehnte mich so nach Italien und meiner Familie. Das las Mum mir vom Gesicht ab: »Mach dir keine Sorgen. In den Ferien besuchen wir alle. Das dauert ja nicht mehr lang.«
Auch sie vermisste Großmutter und ihre ganzen Freunde, aber sie erklärte in aller Deutlichkeit, dass unser Zuhause jetzt England sei. Mum interessierte nur, dass ich mich einlebte und gut in der Schule war. Ihre ganze Aufmerksamkeit, ihre ganze Zeit, ihr ganzes Geld widmete sie mir. Materiell lebte sie alles andere als üppig, aber sie hatte mich, und sie war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass ich gut erzogen wurde, wie eine kleine englische Prinzessin. Immer noch sprach sie Italienisch mit mir, denn auch das war ein wichtiger Teil meines Lebens. So gekränkt und enttäuscht sie auch war, sie wollte nicht, dass ich diese Bindung verlor. Es funktionierte. Wenn ich Italienisch spreche, denke ich Italienisch, und im Englischen geht es mir genauso. Ändert sich die Sprache, verändere ich mich ebenfalls. Dazu gehört viel mehr, als auf der linken oder rechten Seite zu fahren. Nicht die Seiten werden gewechselt, die Persönlichkeit wird gespalten.
Wenn wir am Wochenende am Strand spazieren gingen, sah ich manchmal aufs Meer hinaus und stellte mir Dad vor. Erzählte ich Mum davon, runzelte sie die Stirn und meinte: »Ach, Marisa, dein Dad hat zu tun.«
Das stimmte. Er war wieder auf der Flucht, ein Flüchtling in Amerika. In den Monaten nach unserer Abreise aus Italien war das Drogengeschäft eskaliert, genau wie der Kampf um Macht und Profit. Meine Familie befand sich mittendrin, und ständig wurden Deals ausgehandelt.
Francesco Mafoda, einer der Bosse der Kidnapp GmbH, der Mann, der vergeblich versucht hatte, Dad anzuwerben, hatte eine elegante Art. Wie ein stiernackiger Gangster aus einem Land hinter dem eisernen Vorhang sah er nicht aus, doch benahm er sich so. Seine Organisation hatte begriffen, dass der Drogenhandel ein lukrativeres und weniger gefährliches Geschäft war als Kidnapping; und dass Drogen weniger Schlagzeilen provozierten. Die Familie Di Giovine und vor allem Emilio Di Giovine standen Mafodas Bande und deren Aufbau eines Imperiums im Weg. In der Stadt ging das Gerücht, Mafoda habe einen Auftragskiller auf Dad angesetzt, was Dad nun wirklich als Beleidigung empfand. Nicht weil Mafoda einen hohen Preis für seinen Tod ausgelobt hatte. Sondern weil es nur ein kleiner Betrag war. Dad sagte: »Ich bin mindestens eine Million
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