Mafia Princess
Mittelsmann, Ladenbesitzer oder Weinhändler, den sie nicht bestochen hatten. Ganz gleich, ob es um gefälschte Pässe oder erstklassige Dolcelatte ging, sie bekamen von allem nur das Beste.
Und so wurde ein Pass auf den Namen von Großmutters Bruder Lorenzo Serraino geschaffen. Dads Gesicht war auf dem Passfoto zu sehen. Ein Geschäftspartner brachte den Pass nach Palermo in Sizilien, wo er »beglaubigt« und ein Visum für die USA ausgestellt wurde. Im Gegensatz zu den meisten Dingen in Palermo waren Pass und Visum hundertprozentig zuverlässig.
Jetzt hatte Dad seinen Pass, seinen Geldgürtel bestückt mit Dollars und sein Pan-Am-Ticket für den Nachtflug nach New York. Er brauchte an diesem 12. Juni 1980 eigentlich nur noch das Flugzeug zu besteigen. Doch das Ganze verzögerte sich. Warum? Dad konnte seinen neuen Pass nicht finden.
Während sich andere auf die Suche machten, hing er bei Großmutter herum. Er schlenderte über die Piazza, um sich von seinem Bruder Antonio zu verabschieden, dessen Frau Livia De Martino ein Kind erwartete. Er stand gerade vor ihrer Wohnung, als sein Leibwächter Carlo – wegen der ganzen Gefahren war Dad bewaffnet und nutzte das zusätzliche Paar Augen – Mafoda auf der anderen Straßenseite entdeckte. Mafodas rotes Gesicht hob sich leuchtend von seinem beigefarbenen, verknitterten Leinenanzug ab.
»Oh, compadre !«, rief Carlo dem Slawen zu, damit sich Dad umschaute und sah, wer dort stand.
Mafoda hatte immer, wirklich immer eine Waffe bei sich. Er drehte sich um, holte etwas aus seiner Jackentasche, und mein Dad zog seine Pistole aus dem Halfter und erschoss ihn. Vor Großmutters Haus tötete er ihn mit einer einzigen Kugel.
Da stellten sie fest, dass Mafoda nur ein Schlüsselbund aus der Tasche gezogen hatte. Er war bewaffnet, er hatte eine Pistole. Aber nur die Schlüssel hatte er aus der Jackentasche gezogen.
Keine Pistole.
Dad gefiel nicht, was da passiert war, aber er wusste, dass Mafoda ein brandgefährlicher Typ und nicht ganz dicht war. Alles Mögliche hätte geschehen können. Er dachte, Mafoda wollte seine Pistole ziehen und ihn umbringen. Die Polizei machte das doch auch ständig – erschoss Leute, die keine Pistole, keine Bomben bei sich hatten, von denen die Polizei aber genau das glaubte. Für meinen Dad war es nicht anders. Ich weiß, dass dieser Typ sich bewaffnet hatte und gekommen war, um meinen Dad zu töten. Und auch mein Dad wusste das, und er war vorbereitet.
Dad und Carlo hatten keine Zeit, um lange darüber nachzudenken, was da soeben vorgefallen war. Dad musste seinen Flug kriegen. Er schnappte sich seine Sachen bei Großmutter und saß kurz danach im Auto. Carlo trat aufs Gaspedal und brauste zum Flughafen Malpensa.
Und Dad erwischte seinen Flug nach New York.
Wo die mächtigste Mafiafamilie in Amerika ihm dabei helfen würde, ein fantastisches, noch gefährlicheres neues Leben zu beginnen.
6 Graf Marco und der elegante Pate
»I’ll make a brand new start of it in old New York.«
Fred Ebb und John Kander, New York, New York, 1979
Mum wusste, Dad war auf der Flucht, doch wie Polizei und Interpol dachte sie, er verstecke sich in Marokko oder Portugal. In der Vergangenheit war er immer wieder in Europa oder Nordafrika untergetaucht. Sie dachte, er würde bald wieder zurückkommen, wie immer, und meine Fragen, ob er mich denn nicht bald mal besuchen käme, quittierte sie mit der üblichen Antwort: »Er hat zu tun, Marisa, mach dir keine Sorgen.«
Ich war nicht die Einzige, die an Dad dachte. Nach Mafodas Tod herrschte internationale Alarmbereitschaft. Wie durch Zauberei war Dad verschwunden, wie Arsène Lupin. Abgesehen von Großmutter, Großvater und einigen Brüdern wusste keiner, wo er steckte. Es gab einen Haftbefehl gegen ihn wegen Mordes. Ja, er hatte den Abzugshahn betätigt, aber so, wie sie die Geschichte erzählten, war es nicht. Er musste ein neuer Mensch werden, um seine Freiheit zu wahren und die amerikanische Filiale des wachsenden Drogenimperiums der Familie zu übernehmen.
Als er am John F. Kennedy Airport ankam, galten seine ersten Überlegungen einem sicheren Hafen und exotischen Annehmlichkeiten. Er rief Fanny an, und sie freute sich, seine Stimme zu hören. Außerdem hatte sie eine Überraschung für ihn – sie war schwanger. Dad war natürlich ganz aus dem Häuschen vor Freude. Eine neue Familie war eine wunderbare Tarnung für einen Mann auf der Flucht, der dazu bald von Adel sein würde. Dad hatte vor, die letzten
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