Mafia Princess
langen, heißen Sommer des Jahres 1980 in New York ankam, war der Einfluss der Mafia in fast jeder Branche zu spüren, von der Mode bis zur Wall Street, vom Glücksspiel bis zum Film, vom Hotelwesen bis zum Hafen. Überall ging es um Investitionen: Geld stehlen, wo immer möglich, dann Geldwäsche, dann Anlegen des gewaschenen Geldes auf einer Bank bei hohen Zinsen und so gut wie keinen Steuern. Ich weiß nicht, wie sie das anstellten, aber manchmal lag die Steuerbelastung unter Null – sie erzielten einen Bonus nur dafür, dass sie Kunden einer bestimmten Bank wurden.
Die beliebtesten Einnahmequellen waren traditionellerweise Autodiebstahl und Geschäfte im Baugewerbe und der Bekleidungsindustrie. Doch Anfang der 80er-Jahre stand für alle außer Frage, dass das große Geld im Drogenhandel zu machen war. Die legalen Geschäfte waren der schöne Schein, unter dessen Schutz das richtige Geld verdient wurde. Wie alle hochrangigen Mitglieder der Familie Gambino hatte auch Gotti jemanden bei der New Yorker Polizei platziert. Die Polizei fungierte als Frühwarnsystem für jegliches europäische Interesse an dem flüchtigen Emilio Di Giovine. Das verschaffte Dad viel Spielraum, und diese Freiheit nutzte er für seine Geschäfte. Die 80er waren das Jahrzehnt des Konsums, und die Devise der Mafia beim Drogenhandel spiegelte das Motto der Wall Street wider: »Gier ist gut.«
Wenn meine Verwandten etwas wollten, gingen sie immer an die Quelle. Riesige Heroin- und Kokainlieferungen kamen damals aus Marokko, aber auch aus der Türkei. Die von Dad aufgebaute türkische Connection war lukrativ; unsere Leute stahlen Autos, statteten sie mit falschen Papieren aus und schickten sie als Teilzahlung zurück in die Türkei. Die Liebe der Türken zu Luxusfahrzeugen erhöhte unseren Profit. Gleichzeitig schickten die Marokkaner genauso viele Drogen. Der Markt wurde regelrecht überschwemmt, und für die Familie lief alles bestens: In Amerika bestand enormer Bedarf nach dem Stoff, und dort erzielte man auch die besseren Preise, manchmal das Doppelte des europäischen Tarifs. Großmutter als capa – als weiblicher Boss – sowie Großvater und die Familie organisierten das Portionieren und Verschiffen. Hauptquartier war wie immer die Piazza Prealpi. Graf Marco war Chef des Verteilerrings in New York.
Der Schmuggel nahm seinen komplizierten Anfang an der Piazza Prealpi. Dort und in umliegenden Garagen wurde das in Zellophan verpackte Heroin unterteilt und in Päckchen aus doppelseitigem Klebeband und Plastik gesteckt, die wiederum in leere Flaschen für Shampoo, Haarfestiger und Körperlotion passten – die Art von Toilettenartikeln, die man üblicherweise im Gepäck von Flugpassagieren antrifft. Das Päckchen wurde an die Innenseite der Flasche geklebt, und das Shampoo, der Haarfestiger oder die Körperlotion wieder eingefüllt. Alle möglichen Schönheitsprodukte wurden benutzt. Eine Frau konnte fünf oder sechs gleichzeitig befördern. Es war ganz einfach. Und erfolgreich. Und es blieb in der Familie, denn am Anfang war der Etat knapp bemessen. Verwandte bekamen kein Geld, sondern einen Gratisflug nach Amerika, wobei sie in ihrem Gepäck Drogen im Wert von rund hunderttausend Pfund bei sich trugen. Das war der Wert, bevor Dad die Lieferungen übernahm, sie verschnitt und den Preis damit in die Höhe trieb.
Es gab etwa zwei Dutzend »Drogentouristen«. Die meisten waren Frauen, Mütter mit Babys, Großmütter, die einen Familienbesuch machten, und unverheiratete junge Frauen, die in Amerika ihr Glück suchen wollten. Allen gemeinsam war, abgesehen von der einstudierten Geschichte, ihr extrastarkes Parfüm, das am Zoll die Drogenhunde ablenken sollte. Oft trugen sie eigens angefertigte Gürtel, um Päckchen mit zwei beziehungsweise drei Pfund Heroin aus Italien heraus und einen ganzen Packen Dollar wieder mit nach Hause zu bringen. Die Drogen waren verpackt in dünnste Plastikfolie. Der Gürtel bestand aus Stoff, damit er Schweiß aufsaugen konnte und nicht im unpassenden Moment verrutschte. Keiner wollte beim amerikanischen Zoll einen Gürtel voller Heroin um die Fußknöchel baumeln haben. Ein Kurier hatte besonderes Pech. Als die Frau in Italien landete, war das Klebeband vom Geldgürtel geschmolzen. Ihre Haut klebte am Bargeld fest. Körperlotion und Olivenöl halfen nicht. Sie wurde bei lebendigem Leib unter kochendem Duschwasser gehäutet, damit sie sich vom Geld trennen ließ. Für die Mafiosi galt: Was sein muss, muss
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