Mafia Princess
sein.
Dad leitete die Geschäfte in Amerika, Großmutter in Italien, und Onkel Antonio war für die Verbindung nach Spanien verantwortlich. Doch am besten lief es in New York mit dem immer mehr florierenden Markt und dem Schutz der Familie Gambino. Eine geradezu unglaubliche Geldmenge wurde erzeugt. Großmutter hatte allmählich schon keinen Platz mehr zum Horten des ganzen Bargelds. Heroin sammelte sie in den Waschmittelpackungen ihrer Nachbarn und Geld in deren Schlafzimmerkommoden. Sie hatte »Lastesel«, die sowohl Geld als auch Drogen beförderten, und überall auf der Welt wurden Bankkonten eröffnet. Doch Großmutter blieb Großmutter, kochte das Mittagessen und schrie die an, die sie liebte.
Mum und ich sahen auf unseren jährlichen Besuchen im August die unglaublichen Veränderungen in den Lebensumständen der Familie; sie hausten wie die Millionäre. Wir dagegen waren die armen englischen Verwandten. Flüge nach Italien kosteten viel Geld, also reisten wir mit dem Zug an. Zuerst ging es nach London, weiter nach Calais und dann bis Italien. Wir nahmen den Nachtzug. Einen Schlafwagen konnten wir uns nicht leisten, also saßen wir im Abteil – vier Sitze in die eine Richtung, die anderen vier gegenüber. Wollten wir uns die Beine vertreten, konnten wir kurz auf den Gang. Es war eine lange Nacht. In Mailand trafen wir uns dann mit allen, und ein paar Tage später ging es nach Kalabrien, wo wir diejenigen besuchten, die ebenfalls im Familiengeschäft arbeiteten – es wurden immer mehr. Irgendwie schienen alle mit drin zu stecken.
Großmutter gehörte inzwischen fast das ganze Dorf San Sperato, und Mum und ich wohnten in einem zweistöckigen Haus. Die Brüder kümmerten sich immer noch um das der Familie gehörende Ackerland, doch sie handelten auch mit Heroinlieferungen, die per Containerschiff von Marokko aus im Hafen Gioia Tauro eintrafen.
San Sperato war Großmutters Sommerhauptquartier. Ihr Liegestuhl stand auf demselben Platz wie immer, etwas höher als die anderen am Rand des Sandstreifens, und da saß sie in einem bescheidenen schwarzen Badeanzug, und immer, wenn sie aufstand, wickelte sie sich einen Sarong um die Beine. Sie blieb unter dem Sonnenschirm, um sich vor der Sonne zu schützen, während wir uns in der 40-Grad-Hitze abzukühlen versuchten, indem wir im Meer herumplanschten. Leute, die am Strand spazieren gingen, blieben neben Großmutters Liegestuhl stehen, beugten sich herab und küssten ihr die Hand. Wohin sie auch in Reggio di Calabria ging – auf den Markt, in die Geschäfte, zum Arzt –, überall begegnete man ihr mit großem Respekt. Alle Türen öffneten sich, die Leute schüttelten ihr die Hand und tippten sich an die Hüte.
Jeden Tag zum Mittagessen waren in einem Restaurant am Strand Plätze für dreißig Leute reserviert, und Hummer und Wein warteten bereits. Ich hätte gern gewusst, wo Dad steckte, aber wenn ich fragte, bekam ich immer dieselbe Antwort: »Dein Papa kümmert sich ums Geschäft.«
Ich hatte das Gefühl, irgendwie in der Luft zu hängen. Was war ich? Italienerin? Engländerin? Im Grunde hatte ich keine Ahnung, geschweige denn, was ich von der ganzen Sache halten sollte. Ich wusste nur, dass ich anders war.
Einige meiner englischen Freunde ahnten, dass meine Familie ein bisschen dubios war, aber viel erzählte ich nicht. Ich sagte auch nie: »Meine Familie wird dir die Beine abhacken, wenn du nicht …« Solche Drohungen sprach ich natürlich nie aus.
Die beiden Existenzen, die ich führte, waren so verschieden wie Tag und Nacht. Und Dad blieb eine Art Phantom. Als er sich im Oktober 1980, über ein Jahr nachdem ich das letzte Mal von ihm gehört hatte, endlich einmal telefonisch meldete, war die Neuigkeit ein Schock für mich. Fanny hatte die gemeinsame Tochter zur Welt gebracht. Ich hatte eine Halbschwester, Anna Marie. Sacht erklärte er mir, wie sehr er mich liebte und dass er mich ein paar Tage später noch einmal anrufen wollte.
Das passierte nicht. Er meldete sich knapp ein Jahr später und berichtete, ich hätte jetzt einen Halbbruder, Emilio. Weil Dad als Graf Marco bekannt war, ließ er Fannys Kinder als Kinder meines Großvaters eintragen, damit sie den Namen Di Giovine tragen konnten. Genau wie ich.
Er meinte, er denke jeden Tag an mich und sagte dann: »Ich besuche dich, sobald ich kann, versprochen.«
Verständlicherweise machten Mum diese Anrufe fuchsteufelswild. Auch ich war danach ganz aufgeregt. Ich wusste ja nicht einmal, woher er
Weitere Kostenlose Bücher