Mafia Princess
gehörte jetzt dazu, gehörte zur Mafia.
Ich dachte nicht mehr nur wie eine Italienerin; ich dachte wie ein italienischer Mafioso. Es ist das Alltagsleben, das einem Werte vermittelt, die man als normal empfindet. Es ist wie beim Aufsagen des Alphabets; nach einer Weile braucht man nicht mehr darüber nachzudenken. Man kennt es einfach.
Ich fand, dieser Perverse hatte eben das falsche Ziel ausgesucht, als er an die Piazza Prealpi kam. Wahrscheinlich war ihm nicht mal klar, wie viel Glück er hatte, dass er noch am Leben war. Hätte ihn mein Vater in die Finger bekommen – mein Gott!
Die meisten Mädchen wären zu Tode erschrocken gewesen, wie versteinert, wären unfähig gewesen, etwas zu sagen, wenn man sie so auf der Straße angegriffen hätte. Die hätten einfach gemacht, was er verlangt hatte. Sein Blick war ganz leer gewesen. Er hatte ausgesehen, als sei er aus einer Nervenheilanstalt geflüchtet.
Meine Familie hätte mit ihrer Selbstjustiz ins Gefängnis kommen können, wie auch die anderen Jungs in der Gegend, aber davon haben sie sich keinen Augenblick abhalten lassen. Dieser Typ hatte sich auf unser Gebiet, in unsere kleine Welt gewagt.
Doch nach Mums Meinung hatte ich meinen Aufenthalt in dieser Welt zu sehr ausgedehnt. Im September sollte ich eigentlich wieder zur Schule gehen, aber ich war immer noch in Mailand, und sie brüllte mich am Telefon an: »Du bist noch keine achtzehn. Wenn du nicht sofort nach Hause kommst, hole ich dich.«
Sie war im Recht, und auch die italienischen Behörden hätten sie voll und ganz unterstützt. Aber natürlich glaubte ich, ich sei aus all dem herausgewachsen. Ich gehörte zu einem geheimen Clan. War unberührbar. Doch dann wurde mir eine heilsame Lektion erteilt. Wir waren nicht immun vor der Polizei.
Rita hatte zwei Kinder, Massimo und eine Tochter namens Elena. Vom Vater der Kinder hatte sie sich getrennt. Im September 1987 hatte sie Salvatore Morabito geheiratet, und der gemeinsame Sohn Michael war gerade geboren. Salvatore stammte aus Kalabrien. Ein Cousin meines Vaters hatte ihm geraten, uns in Mailand aufzusuchen, wo er bald der Organisation beitrat und als regulärer Kurier nach New York reiste. Für die Rolle war er perfekt – respektabel, ohne Vorstrafen, ein netter Typ und der ideale Heroin-Lastesel. Rita holte ihn, manchmal zusammen mit Großmutter, in Mailand am Flughafen ab, wenn er zurückkam. Nach der dritten Reise war alles klar zwischen ihnen, und sie wurden Partner im Leben wie auch im Drogenhandel.
Eines Abends war ich bei ihnen und saß mit Elena vor dem Fernseher, spielte dabei mit dem Baby auf dem Sofa, als es plötzlich an der Wohnungstür klopfte. Tante Rita kam aus dem Schlafzimmer und legte den Finger an die Lippen. Sie schaute durch den Türspion und sah Salvatore, der beinahe den gesamten Bereich vor der Tür füllte. Dann sah sie neben und hinter ihm Polizisten.
Es gab einen Hinterausgang, und sie sagte: »Los, Marisa! Hau ab! Mach, dass du wegkommst!«
Dazu war keine Zeit mehr. Die Tür wurde eingetreten. So viele Polizisten hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen.
Zwei noch ganz junge Beamte kamen auf mich zu und legten mir die Hände auf die Schultern: »Setzen Sie sich.«
Ich wollte etwas fragen.
»Ruhe! Nicht bewegen.«
»Aber … ich … was …?«
»Ruhe, oder wir verhaften Sie.«
Ich schwieg.
Als ich mich umdrehte, sah ich Tante Rita und Salvatore in Handschellen; die Polizisten drängten sie an die Wand. Sie durchwühlten die Wohnung, leerten Schubladen, schauten in Schränke, zogen den Teppich hoch. Sie durchsuchten jedes Zimmer, überprüften alles doppelt und dreifach. Sie fanden Dutzende Heroinbeutelchen in der Küche, versteckt in Waschmittelkartons unter dem Waschbecken hinter Putzschwämmen und Bleichmittel.
Sie führten Tante Rita und Salvatore aus der Wohnung und nahmen auch die Kinder mit. Nur mich ließen sie da. Auf dem Sofa. Ich starrte auf den Fernseher, der immer noch an war; es lief gerade eine merkwürdige Seifenoper mit dem Titel Licia Dolce Licia .
Ich war wie hypnotisiert, aber nicht von dem Herumgekaspere von Manuel De Peppe im Fernsehen. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Gerade noch hatte ich ein Baby auf dem Knie geschaukelt. Ich war verletzt und wütend – auf mich genauso wie auf alles und jeden. Weil ich es nicht verstand. Ich hatte doch gedacht, die Familie sei unberührbar.
Ich ging zu Großmutter und Onkel Guglielmo. Er begriff nicht, weshalb ich mir solche Sorgen machte
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