Mafia Princess
geliefert wurden. Schützen hielten Wache, aber Bestechungsgelder sorgten dafür, dass es höchst selten zu Störungen kam. Trotzdem war es der reinste Nervenkrieg für alle Beteiligten am Korridor von Cádiz.
Es ging um unglaubliche Mengen von Haschisch, um Tonnen über Tonnen, und ebenso unglaubliche Mengen von Geld, Millionen über Millionen Lire. Bei Mondschein sammelten die Leute das Haschisch vom Strand wie Treibgut ein und schickten es auf den Weg nach Mailand.
Es war physisch und psychisch richtig harte Arbeit, erst das ganze lange Warten und dann das Verladen. Oft wurde das Hasch hinter Kisten mit frisch gefangenen Fischen versteckt, und die spanischen und italienischen Jungs mussten das dann alles wieder rausholen. Die stanken so fürchterlich, dass sie hinterher ihre Kleidung wegwerfen konnten. Auch die Drogenpäckchen stanken nach Fisch.
Durch einen Kontaktmann kam mein Vater darauf, Reisebusse einzusetzen. Die Leute in den Bussen waren echte Touristen, ganz bilderbuchmäßig. Ihre Koffer stapelten sich, und dahinter steckten die Drogen. Nie passte alles in einen Bus; jede Lieferung umfasste rund vier Tonnen, das ergab rund viertausend Kilo Haschisch. Ein Teil der Ware wurde auch mit Lastwagen befördert, kleinere Ladungen mit dem Van oder dem Auto. Die Busse erwiesen sich aber als das sicherste Transportmittel.
Mein Vater trug für alles die Verantwortung. Wenn irgendein Missgeschick passierte und Drogen verloren gingen, musste er blechen. Er verdiente so viel, dass ein Kilo hier und ein Kilo da nicht groß störte. Der Umsatz lag bei etwa einhundert Milliarden Lire pro Jahr. Jede Woche ließ Dad Tonnen von marokkanischem Hasch sowie von Kokain an unsere Sammelpunkte am Strand liefern. In Turin gab es eine große Lagerhalle, wo die Lieferungen verteilt wurden. Wer immer kaufte, und sei es auch nur ein Kilo, hatte im Voraus zu zahlen. Die Familie wurde zuerst bedient.
Alle redeten in einem speziellen Drogencode. Ihre Unterhaltungen ergaben wenig Sinn für Leute, die mithörten, sogar für die Experten von der Sisde , der schillernden Sicherheitsbehörde. Für Haschisch und Kokain benutzte Großmutter das Wort »Kleider«: »Hol mir da und dort die Kleider. Bring mir ungefähr drei.« Das bedeutete dann dreißig Kilo. »Pasta« bedeutete Heroin. Und dann sprach Großmutter ja noch mit ihrem schwierigen Dialekt, der das Ganze zusätzlich erschwerte.
Innerhalb von zwei Wochen wurde die Schmuggelware in Geld verwandelt. Für die Transaktion brauchten wir Geldzählmaschinen wie die von Großmutter, und davon viele. Es war ein supereffizientes Unternehmen. Dad war Multimillionär. Anfang der 90er-Jahre war Haschisch anstelle von Heroin die Familienspezialität geworden, aber immer noch gab es den einen oder anderen tragischen Nachhall aus den alten Zeiten. Tante Mima – die dusselige, überdrehte Tante Mima, die Luis Miguel um den Finger gewickelt hatte – starb. Sie wurde nur dreißig Jahre alt.
Neun Tage später starb Onkel Alessandro, der jüngste Bruder meines Vaters; wegen des heftigen Heroinkonsums kollabierte seine Lunge. Er war neunundzwanzig. Innerhalb weniger Tage hatte meine Großmutter zwei Kinder durch Heroin verloren. Sie zog sich Trauerkleidung an und trauerte viele, viele Monate lang.
Zu dieser Zeit hatte Dad einen libanesischen Geschäftspartner, der Kontakte im Heroinhandel mit Syrien hatte. Dieser Mann war groß im Geschäft, und einer seiner weiteren Märkte war Australien. Er war clever und geschickt im Umgang mit verschiedenen Mafiaclans, einschließlich der Camorra und der ’Ndrangheta. Über Gioia Tauro verschiffte er Heroin in Mengen bis zu fünfundzwanzig Tonnen nach Australien.
Kooperationen wie diese waren nur ein Teil des Netzwerks der ’Ndrangheta, das sich weit über Kalabrien hinaus erstreckte; die ’ndrina [Familie] war aktiv in Norditalien, Großbritannien, Deutschland, Belgien, Holland, Frankreich, Osteuropa, Amerika, Kanada, Japan und Australien. Von überallher kamen einmal im Jahr Mafiosi nach San Luca zum jährlichen Gipfeltreffen der ’Ndrangheta zum Heiligtum Unserer Lieben Frau von Polsi. Großmutter spendete dem Heiligtum viel Geld, und jeden August nahmen wir an den Andachten und Prozessionen teil.
Wenn auch San Luca die spirituelle Heimat der ’Ndrangheta war, wurden abseits der Feierlichkeiten doch höchst weltliche Geschäfte gemacht. Es ist Sache der Dorfoberen, ausländische Verbrecherclans als zur ’Ndrangheta gehörig anzuerkennen. Diese
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