Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mafia Princess

Mafia Princess

Titel: Mafia Princess Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisa Merico
Vom Netzwerk:
Hätte ich mit meiner Mutter über jemanden drinnen gesprochen, hätte sie diese Leute an diesen besonderen Besuchertagen kennen lernen können. Wir hatten unseren jeweils eigenen Tisch mit unserer Familie, die Kinder spielten in der Mitte. Jeden Tag konzentrierte ich mich immer wieder auf den nächsten Besuch. Das war die einzige Möglichkeit. Wir alle freuten uns sehr darauf.
    Trotzdem fanden wir es alle so schlimm, dass diese ganzen Perversen hier waren, Frauen, die Kinder sexuell missbraucht oder getötet hatten. Die blieben mit ihren Besuchern auf der einen Seite. Rose West war eine von ihnen. Ihr Fall hatte auch international viel Aufmerksamkeit erregt; sie und ihr Mann Fred hatten mehrere Mädchen und Frauen, darunter sogar Roses eigene Tochter, getötet. Ich war ganz verblüfft, als ich sah, dass ihre anderen Kinder sie tatsächlich besuchen kamen. Sie hatten gegen sie ausgesagt; Rose West war wegen des Missbrauchs an ihnen zu lebenslanger Haft verurteilt, und trotzdem kamen sie zu Besuch. Als ich ihren Sohn sah, wurde mir besonders unheimlich, denn der war dem Vater Fred West wie aus dem Gesicht geschnitten.
    An den Besuchertagen waren die Sicherheitsvorkehrungen besonders hoch, und einmal wurde der Besuchertag auch abgesagt. Schuld war eine junge Frau, die drei Kinder getötet hatte, die sie als Babysitterin betreuen sollte – sie hatte Feuer gelegt in einem Wäschetrockenschrank, und als das Haus in Flammen stand, hatte sie die Kinder zurückgelassen. Und nun hatte sie in einem Schulungsraum im Gefängnis gezündelt. Wir anderen waren schon ganz aufgeregt und hielten uns eine gute Stunde vor Türöffnung des Besucherraumes bereit, und sie setzte einen Raum in Brand, um das Gefängnis abzufackeln. Am liebsten hätten wir sie umgebracht. Wäre ein großer Brand entstanden, wären die Besuche komplett gestrichen worden, obwohl Familien von überall her aus England kamen. Sie mussten die Frau wegsperren, denn wir hätten sie am liebsten gelyncht.
    Manchmal denke ich zurück und frage mich, wie ich diese Zeit durchstand. Aber jeder Fall ist anders. Es ist falsch, zu schnell vom Äußeren aufs Innere zu schließen. Und die Lebenslänglichen mussten ja, buchstäblich, ein Leben lang hier leben. Mit Kindsmörderinnen im selben Raum mochte ich allerdings nicht sein. Ich hätte ja vielleicht gern mal beim Kunstunterricht mitgemacht, aber da gingen die anderen auch hin. Die Kurse waren offen für jeden, also blieb ich weg, weil ich nicht im selben Raum mit ihnen sein wollte.
    Myra Hindley, die Berüchtigtste von allen, war mit mir im H-Block untergebracht. Ich wusste alles von ihr. Meine Mutter hatte immer schon alles über Killer und Serienmörder gelesen, und weil wir so nah bei Manchester wohnten, waren die Morde im Moor Teil unseres Lebens. Immer wieder einmal gab es im Fernsehen oder in den Zeitungen eine Geschichte über eine Leiche aus dem Moor. Oder die Hoffnung, dass Myra Hindley oder Ian Brady, der gemeinsam mit ihr die Kinder getötet hatte, die Stelle angeben würde, an der sie den kleinen Jungen versenkt hatten, dessen Leiche nie gefunden wurde.
    Oh ja, ich wusste, wer sie war. Allerdings nicht im ersten Moment, als ich sie sah. Ich war aufgewachsen mit diesem Bild von blondem Haar und einem entsetzlich toten Ausdruck im Gesicht. Als ich sie dann sah, ging sie am Stock an meiner Zellentür vorbei. Ihre Haut war gelblich, weil sie die ganze Zeit selbst gedrehte Golden Virginias rauchte. Sie beachtete niemanden um sich herum. Sie ging einfach nur an mir vorbei.
    Die Leute fragen sich, wie diese Gefangenen herumlaufen können, ohne dass sie alle fünf Minuten üble Tritte kassieren. Es gab mehrere Frauen wie Myra in Durham, die Kinder getötet oder Menschen bei lebendigem Leib verbrannt hatten. Es war schwer, Tag für Tag mit ihnen zu leben. Wollte man sich die Mühe machen und intensiv darüber nachdenken, würde man irre werden; mit so was konnte man nicht vernünftig umgehen.
    Mir haben Leute gesagt: »Ich hätte sie kaltgemacht.« Aber das geht nicht, man würde keine Besuche mehr haben dürfen. Man würde nicht mehr jeden Abend nach Hause telefonieren können. Und das war doch das Wichtigste für mich. Egal, was ich empfand, egal, was ich gern getan hätte, ich beherrschte mich immer, denn ich wusste genau, ich wollte jeden Abend die Stimme meiner Tochter hören.
    Für Myra Hindley existierten die anderen Insassen nicht. Es war eine Art Arroganz in ihr zu spüren, so als sei sie gezwungen zu tun, als

Weitere Kostenlose Bücher