Mafia Princess
Nähe gab es nicht mehr. Draußen hätte ich ihn nie verlassen. Ich wäre immer da gewesen und hätte ihn unterstützt. Dazu wäre ich verpflichtet gewesen. So habe ich es als Ehefrau immer gehalten. Wäre er noch im Gefängnis gewesen und ich draußen, hätte ich ihn nicht verlassen können, aber jetzt saß ich im selben Boot.
Unsere Liebesbeziehung existierte nicht mehr. Schon bevor er verhaftet worden war, hatte es mit uns nicht mehr funktioniert, und zwar aus den ganzen üblichen Gründen. Er nahm zu viel Kokain. Ich sah ihn viel zu lange nicht. Er ging abends aus und kam erst morgens zurück. Er war einfach kein Familienmensch. Er war am Boden zerstört, als ich ihn wissen ließ, wie ich empfand, aber wir vereinbarten, dass wir wenigstens schriftlich in Kontakt bleiben wollten. Seine Mutter kam nach Durham und besuchte Lara, sodass diese Verbindung nicht abriss. Trotzdem fühlte ich mich jetzt noch einsamer, nachdem ich die Beziehung zu meinem Mann abgebrochen hatte; zu einem der Menschen, der sich doch eigentlich um mich hätte kümmern sollen.
Ich bekam auch Briefe von meinem Vater, aber da ich Häftling der Kategorie A war, wurden sie peinlich genau durchgelesen, und ich musste aufpassen, was ich ihm schrieb.
Ich hielt mich bedeckt und versuchte, mit dem Alltag im Gefängnis klarzukommen. Wir hatten in der Haftanstalt Bankkonten, auf die Leute von draußen Geld einzahlen durften, damit wir unser eigenes Essen kaufen konnten. Wachmänner gingen für uns in den Supermarkt. Ich machte eine Einkaufsliste, und einmal in der Woche zogen sie los. Es gab einen Kühlschrank, und man schrieb seinen Namen auf sein eigenes Zeug. Es war besser, selber zu kochen, denn das normale Essen stammte aus der Männerabteilung des Gefängnisses, und man konnte nie wissen, was damit angestellt worden war, ehe es zu uns kam.
Bald verbrachte ich drei Stunden täglich im Fitnessraum, wo ich Linda Calvey kennen lernte, die eine der längsten Haftstrafen im Gefängnis verbüßte. Sie wurde »Schwarze Witwe« genannt, denn alle, mit denen sie sich einließ, waren am Ende entweder tot oder im Gefängnis. Ich fand sie nett. Beim Essen benutzte sie eine Stoffserviette mit weißen Lilien, und mir gegenüber betonte sie, Reggie Kray, Englands bekanntester Gangster, habe sie ihr geschickt.
Ich lernte auch eine Frau mit Namen Beba kennen, die im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten verurteilt worden war und die draußen immer noch Geschäfte machte. Dann lernte ich eine Maori kennen, eine Auftragskillerin aus Neuseeland, die bei einem ihrer ersten Jobs aufflog. Davor, so erzählte sie mir, habe sie als Kindermädchen gearbeitet, so zum Beispiel im Winter 1991/92 im Badrutt’s Palace Hotel in St. Moritz. Sie war also gleichzeitig mit mir dort gewesen und hätte die sein können, die sich um Lara gekümmert hatte. Was für ein Irrsinn!
Und dann war da noch Zoora, eine Inderin, die im Gefängnis saß, weil sie ihren Ehemann vergiftet haben sollte; zu zwanzig Jahren war sie verurteilt. Sie machte mir das erste Currygericht meines Lebens. In Italien aßen wir kein Curry, also wurde mein allererstes Curry von Zoora zubereitet, die ihren Mann umgebracht hatte. Es war so scharf, dass ich im Leben nie herausgeschmeckt hätte, wenn sie das Hühnchen Madras mit Arsen statt mit Chilipulver gewürzt hätte. Sie behauptete, sie habe ihren Mann nicht getötet, aber das sagten im Gefängnis alle. Die Einzige, an deren Unschuld ich glaubte, war Sue, Susan May. Sie war verurteilt worden, weil sie ihre neunundachtzigjährige Tante totgeschlagen haben sollte. Sie wurde im Gefängnis so etwas wie meine Mutter. Susan würde jedem helfen.
Schlimmer als Durham war nur noch Rampton, weil dort die ganz großen Verbrecher hingeschickt wurden. Aber davon hatten wir bei uns auch einige. Eine war noch sehr jung, etwa in meinem Alter. Sie sah wie ein richtiges Monster aus, weil sie sich das Gesicht mit Stahlwolle abrieb, bis es ganz aufgeraut war. Viele fanden etwas, womit sie sich selbst verletzen konnten; ein abgebrochener Plastiklöffel genügte schon.
In gewissen Abständen gab es große Familienbesuche. Wir gingen dann in den Fitnessraum, stellten Tische auf, und dann kamen die Familien. Normalerweise gab es im Besucherraum nur acht Tische, es war also immer nur Platz für acht Besucher zur selben Zeit. Wenn der Besucherraum voll war, hatte man eben Pech gehabt. Kein Besuch, keine Rettungsleine zum Leben draußen.
Die Familientreffen waren großartig.
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