Mafia Princess
vor und stand unter Schock. So hätte ich mich nicht fühlen müssen, aber so war es nun einmal. Es hatte mich verstört. Ich wusste, ich war für sie nur ein Name und eine Nummer. Von allen beschämenden Dingen, die ich im Strafvollzugssystem erlitten hatte, war das das Schlimmste. Ich fragte mich, wie um alles in der Welt es dazu hatte kommen können, stellte jede Entscheidung, die ich je getroffen hatte, in Frage. War meine Loyalität der Familie gegenüber, mein Wunsch, alles zu tun, was mein Vater wollte, diese Demütigungen wert? Ich hatte das Gefühl, einen tiefen, emotionalen Schaden erlitten zu haben. Ich kam mir vor wie ein wildes Tier.
Aber als ich das nächste Mal zum Gericht an der Bow Street gebracht wurde, wurde es besser. Bei meiner Rückkehr nach Durham hatte ich Susan May von den beschämenden Begleitumständen dieses ersten Besuches in Belmarsh erzählt. Sie schrieb einen offiziellen Brief, und der für mich zuständige Unterhausabgeordnete beschwerte sich. Die Behörden räumten ein, dass sie bei meiner Behandlung Fehler gemacht hatten. Ich schrieb Geschichte als erste Frau, die in einem Männergefängnis festgehalten worden war. Beim nächsten Mal standen die Gefängnisdirektion, die Leute vom Wohltätigkeitsverein und der Pfarrer vor der Tür.
Ab Juni 1996 brachte man mich nicht mehr zum Gericht in die Bow Street. Michael Howard, der Innenminister, hatte meinen Auslieferungsantrag unterschrieben. Ich würde Lara nicht sehen. Ich würde meine Mutter nicht sehen. Und was würde mit meinen Briefen an Frank?
Wir schrieben uns weiterhin, denn die Italiener brauchten beinahe acht Monate, um mich holen zu kommen. Ein Team von Scotland Yard, das für Auslieferungen zuständig war, setzte mich am 19. Februar 1997, meinem siebenundzwanzigsten Geburtstag, in ein Flugzeug. Einer der Männer war korpulent, groß und unangenehm. Sein Partner war ruhig, aber der große Typ konnte sich schneidende Kommentare nicht verkneifen, sagte zum Beispiel: »Die haben Sie in die erste Klasse gesteckt, und ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, warum.« Als sie mich die Gangway hochbrachten, sagte er: »Tja, dann bis in fünfzehn Jahren.«
Nötig war das nicht. Ich wurde nicht frech, ich beschimpfte niemanden, ich tat alles, was sie befahlen. Ich verlangte nichts. Ich war am Boden zerstört, weil ich Lara zurücklassen musste, und ich wusste, ich würde mein kleines Mädchen eine Ewigkeit nicht wiedersehen. Drei Jahre ihres Lebens hatte ich bereits verpasst. Sie ging inzwischen in die Schule, und ich konnte sie nicht bis ans Schultor bringen. Sie hatte neue Freunde und eigene Interessen. Sie wuchs ohne mich auf.
Als sie mich der italienischen Polizei übergaben, änderte sich die Behandlung. Der Mann und die Frau, die mich eskortierten, legten keinen Wert auf Handschellen während des Fluges. Als das Essen kam, fragte mich die Frau: »Möchten Sie etwas Wein?« Ich fiel fast vom Sitz. Seit zweieinhalb Jahren hatte ich keinen Wein mehr getrunken. Sie war sehr nett. Es war eine ganz und gar andere Haltung.
Vor allem, als wir in Rom landeten. Zwei Polizisten in Zivil übernahmen und sagten, sie müssten mich ins Stadtzentrum bringen. Einer fing sogar an zu flirten: »Sind Sie schon mal in Rom gewesen? Wir fahren Sie ein bisschen herum.«
An einem schönen sonnigen Februartag sah ich das Kolosseum. Es war eine richtige Geburtstagsüberraschung, nachdem ich in Durham schon das Glück gehabt hatte, eine Stunde an der frischen Luft zu sein. Später zeigten sie mir weitere Sehenswürdigkeiten, als wir in den nordöstlichen Teil der Stadt fuhren, nach Rebibbia, wo Italiens größtes Gefängnis lag, das sowohl Männer als auch Frauen beherbergte. Durch die Via Tiburtina kamen wir zu den Kirchen an der Via Casal de’ Pazzi und der Piazza Ferriani. Ich fragte mich, wann ich wohl je wieder so etwas Schönes sehen würde.
In Rom waren die Gefängnisbedingungen angenehm, aber nach nur wenigen Wochen wurde ich ins Frauengefängnis Vigevano in der Nähe von Mailand gebracht, wo ich auf meinen Prozess warten sollte.
Mein Vater und Onkel Guglielmo waren aus Portugal ausgewiesen worden, Bruno hatte man aus Spanien ausgeliefert. Großmutter und Dutzende anderer standen bereits vor Gericht, und zwar in besonderen, gegen Terrorangriffe gesicherten Sälen aus Beton in Mailand.
Es würde eine Familienzusammenführung vor Gericht sein.
16 La Dolce Vita
In vino veritas
[Im Wein liegt die Wahrheit]
Großmutter und Tante
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