Mafia Princess
Zellentür aus.
Ich brummelte etwas.
»Packen Sie Ihr Zeug zusammen, Sie kommen raus.«
Ich fiel fast in Ohnmacht. Mir war schwindlig. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich weiß nur noch, dass ich mich auf einen Stuhl fallen ließ, und da sagte sie: »Di Giovine? Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Ich brach in Tränen aus.
»Na kommen Sie, Di Giovine. Packen Sie zusammen.«
Ich konnte gar nicht schnell genug rauskommen. Viel hatte ich nicht, nur ein paar Kleidungsstücke, eine Gardine und einen Gaskocher – den brauchte man in Italien im Gefängnis, damit man in der eigenen Zelle kochen kann. Ich verabschiedete mich von Silvia und gab ihr einen Kuss durch den Schlitz in der Zellentür. Sie fing an zu weinen. Meinetwegen und ihretwegen. Sie tat mir leid, und ich ließ ihr das meiste von meinem Zeug da. Den Rest stopfte ich in einen Müllsack und ging den Korridor runter, in den Kleidern, die ich an diesem Tag am Leib trug. Die Gefängnisbehörden gaben mir Geld im Wert von etwa zwanzig Pfund, und das war es dann.
Zum ersten Mal verließ ich zu Fuß das Gefängnis von Vigevano – bis dahin war ich immer in gepanzerten Fahrzeugen gebracht und geholt worden. Vor dem Tor gab es einen Parkplatz und dahinter eine Bushaltestelle und eine Telefonzelle. Ich rief Brunos Mutter an. Sie bekam fast einen hysterischen Anfall. Wir verabredeten uns im Stadtzentrum von Mailand.
Mit meinem Müllsack in der Hand stieg ich in den ersten Bus, der an der Haltestelle hielt. Die anderen Fahrgäste müssen gleich »Gefängnis« gedacht haben, aber das war mir nun wirklich egal. Ich kaufte eine Fahrkarte und kam mir dabei ganz seltsam vor. Vier Jahre lang hatte ich kein Geld mehr in Händen gehalten. Beim Telefonieren hatte ich immer eine Karte benutzt. Jetzt war ich draußen. Vier Jahre. Das ist eine lange, lange Zeit. Außerhalb eines Gefängnisses kommt einem das vielleicht nicht so vor, weil alle Veränderungen nach und nach passieren. Aber ich musste jetzt alles Neue auf einmal verarbeiten. Kennen Sie diese Rückblenden in Filmen? Für mich war es keine Rück-, sondern eine Vorausblende. Ich war in die Zukunft getreten.
In der Nähe vom Bahnhof stieg ich aus dem Bus und ging in ein nettes Café mit Telefon. Mum war zu Hause. Es war der Tag, an dem meine Freundin Naima heiratete, aber Mum hatte das Haus noch nicht verlassen.
»Hallo, Mum, Ich bin es. Ich bin es, Mum. Ich bin draußen.«
Ich hörte den Seufzer der Erleichterung Aberhunderte von Kilometern entfernt. Eine halbe Ewigkeit redete ich mit Lara und dann wieder mit Mum. Wir redeten und redeten und schmiedeten allerlei Pläne. Danach wollte sie möglichst schnell auf die Hochzeit gehen und es allen erzählen. Sie wollte ihr Glück mit allen teilen.
Frank hatte mir die Nummer seines Freundes Barry gegeben, und den rief ich an und bat ihn, Frank die Neuigkeit zu erzählen.
Ich brauchte einen Moment, um im Café zu verschnaufen. Ich wartete auf Brunos Mutter und horchte auf das Klappern von Tassen und Untertassen und auf das Klingen von Gläsern im Spülbecken, auf das Kreischen der Espressomaschine und die hohen Stimmen – ein ganz normaler Tag in Mailand. Ich hatte die Gefängnisse in Italien und England überlebt. Ich hatte es durchgestanden. Ich dachte an Großmutter und meinen Vater und seine Geschwister, an die Familie von der Piazza Prealpi, an meine Kindheit in einem Milieu, in dem man stark sein musste, seine Position behaupten und gleichzeitig die Regeln befolgen. Mir wurde klar, das war ein Unterricht gewesen, der mich auf die Jahre im Gefängnis vorbereitet hatte. Wenn man dort nicht um seinen Platz kämpfte und keine positiven Schwingungen aussandte, trampelten die anderen auf einem herum. Man wurde nicht respektiert. Und das bedeutete, dass man leer ausging.
Ich war stoisch und stark gewesen, und nun war ich wild entschlossen, genau so zu bleiben, um auch draußen zu überleben. Doch anfangs, nachdem ich die Institution verlassen hatte, in der jeder einzelne Moment bis ins Kleinste geregelt ist, fühlte ich mich verloren. Brunos Mutter und ihr Bruder nahmen mich mit zu sich nach Hause. Es war seltsam. Ich brachte kaum einen Bissen herunter, so aufgewühlt war ich. Über drei Kilo nahm ich in einer Woche ab. Heute würde ich mich darüber unheimlich freuen, aber damals fiel es mir nicht einmal auf.
Ich war frei, auf freiem Fuß wegen einer reinen Formsache, aber mit meinem italienischen Pass durfte ich Italien nicht verlassen. Und mein anderer Ausweis lag in
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