Mafia Princess
Angela saßen beide im Gefängnis in Vigevano. Kein Wunder, kannten die Insassen dort den Namen Di Giovine gut. Ich hatte eine Zelle im Hochsicherheitstrakt; es gab ein Waschbecken, eine Toilette und ein Bidet, aber heißes Wasser gab es nicht. Ich wusch meine Wäsche im Bidet. Eines Nachts machte ich mich zum Schlafengehen fertig, als ich dachte, ich hätte die Stimme von Silvia, Brunos Schwester, gehört. Tatsächlich, es war Laras Tante.
Ich wusste, dass sie ebenfalls verhaftet worden war. Waffen, die man mit Bruno in Verbindung brachte, waren in ihrer Wohnung gefunden worden. Aber ich wusste nicht, wohin man sie gebracht hatte, nachdem sie wegen Vergehens gegen das Waffengesetz zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Es war ein Trost, eine vertraute Stimme zu hören. Mir wurde richtig warm ums Herz. Vielleicht war es ja ein gutes Omen. Wir hatten viel Zeit, um über all das zu sprechen, was in unseren beiden Familien geschehen war. Silvia und ich schütteten einander unser Herz aus. Es war wunderbar, frei reden zu dürfen und mir keine Sorgen über das machen zu müssen, was ich sagte. Schließlich war ich ja bereits eine verurteilte Straftäterin, also, was sollten sie mir jetzt noch anhaben können?
Im Gefängnis gab es einen Gemeinschaftsraum, im dem wir kochen konnten. Es gab eine Kantine. Jede Woche machten wir eine Liste mit Sachen, die für uns eingekauft werden sollten. Pro Tag waren zwei Tetrapak Wein erlaubt. Es war das reinste Paradies, ein gutes Gefängnisleben. Manchmal hoben wir den Wein für eine Geburtstagsparty auf. Wir vergoren ihn mit Zucker, und anschließend waren wir alle stockbesoffen.
Ich sorgte für die Fitness der Mädchen. In Durham hatte ich mir angewöhnt, drei Stunden am Tag zu trainieren, also fing ich jetzt im Hof mit Aerobickursen an. Ich ließ sie Dehnübungen machen, Handstand und Radschlagen. Einmal in der Woche spielten wir im Fitnessraum Volleyball. Ich konnte einiges an Aggressionen abbauen, wenn ich den Ball übers Netz schmetterte. In der Zelle machte ich Sit-ups. Das tat ich alles, damit ich schlafen konnte, damit ich aufhörte zu grübeln. Hätte ich das Gedankenkarussell nicht mit Training gestoppt, hätte ich nur wach im Bett gelegen und mir Sorgen gemacht – um Lara, um meinen Prozess, um die Zukunft. Jede Woche schickte mir meine Mutter ein Päckchen mit Laras Zeichnungen, mit von ihr besprochenen Tonbändern und mit jeder Menge Fotos. Das machte mich glücklich, trieb mir aber auch die Tränen in die Augen.
Auch Frank schrieb mir die ganze Zeit. Ich hatte gedacht, unser seltsames Arrangement würde mein Fortgehen aus England nicht überleben, aber das stimmte nicht. Zuerst wusste er zwar nicht, wo ich war und rief sogar meine Mutter an. Als sich aber alles geklärt hatte, schrieben wir uns täglich.
Erst im November 1997 musste ich zu einem kleinen Prozess vor Gericht erscheinen. Andere Familienmitglieder waren in der Woche zuvor abgeurteilt worden. Großmutter erhielt lebenslänglich. La Signora hatte Diabetes und wurde zur Urteilsverkündung auf einer Krankentrage in den Gerichtssaal getragen. Ihre Verurteilung schrieb Rechtsgeschichte, denn sie war die einzige Frau, die man je der Verstrickung mit der Mafia auf so hohem Niveau für schuldig befunden hatte. Einige Carabinieri trugen sie aus dem Saal, und auf dem ganzen Weg machte sie Scherze mit ihnen. Ich habe das nicht gesehen, aber ich möchte wetten, dass sie noch vor Verlassen des Gerichtsgebäudes ein paar von den Männern bestochen hatte.
Tante Livia bekam vierundzwanzigeinhalb Jahre, Onkel Antonio und Onkel Filippo, die bei Dad in Spanien und Portugal gewesen waren, erhielten jeweils dreißig Jahre. Großvater Rosario, der während des Verfahrens an einem Respirator hing, wurde zu achtzehn Jahren verurteilt. Tante Angela, nur einen Monat älter als ich, bekam vierzehn Jahre. Onkel Franco traf gleich zu Anfang des Mani-Pulite -Programms im Jahr 1995 mit acht Jahren die volle Härte des Gesetzes. Mit Dutzenden weiterer Mafia-Verbindungsleute, Cousins zweiten und dritten Grades, mit allen Freunden und Verwandten betrug die Gesamthaftstrafe, ehe ich die Anklagebank betrat, beinahe eintausendfünfhundert Jahre.
Mein Vater wurde in einem gesonderten Verfahren verurteilt. Er war wegen Drogenhandels nach Italien ausgeliefert worden, doch dann hatten die italienischen Behörden ihn wegen Mordes vor Gericht gestellt. Das war gegen die gesetzlichen Bestimmungen des europäischen Auslieferungsrechts
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