Mafia Princess
England beim Zoll. Sie hatten mich ausgewiesen, ohne mir meinen Ausweis mitzugeben. Meine Mutter setzte Himmel und Hölle in Bewegung, schaltete den für sie zuständigen Unterhausabgeordneten ein und machte herrlich viel Ärger. Als Laras Sommerferien begannen, kam sie ganz allein zu mir mit einer Maschine der British Airways, als »Minderjährige ohne Erwachsenenbegleitung«. Sie blieb fünf Wochen, und es war wunderbar. Mit Brunos Mutter machten wir Ausflüge an die Küste, nach Kalabrien, wo ich wieder einmal den lieblichen Duft der Orangenblüten einatmen durfte, das Aroma des Südens.
Aber das Leben hinter Gittern war nie weit weg. Kaum kam ich selber aus dem Gefängnis, besuchte ich Bruno einmal die Woche, und ich nahm Lara mit, damit auch sie ihn sehen konnte. Es war vier Jahre her, dass wir eine Familie gewesen waren, und jetzt hatte sich alles geändert. Ich war in Frank verliebt. Anrufen konnte er mich nicht, weil er Häftling der Kategorie A war und man ihm keine Telefonate ins Ausland gestattete, aber er schrieb mir und adressierte die Briefe an meine Schwiegermutter. Weil das eine unbehagliche Situation war, erklärte ich ihr, dass ich in ihren Sohn nicht länger verliebt war. Sie verstand.
Rechtzeitig zum Schulbeginn, und kurz vor ihrem siebten Geburtstag am 11. September, fuhr Lara zurück nach England. Es war schlimm, dass ich ihren Geburtstag nicht mit ihr feiern konnte, aber ich saß noch immer in Mailand fest. Mum hatte sich mit der englischen Zoll- und Steuerbehörde wegen meiner Ausweispapiere angelegt, und schließlich nahm die Behörde Kontakt zu Roger Wilson auf, der damals nach unserer Verhaftung den frustrierenden Job gehabt hatte, sie zu verhören.
Wahrscheinlich hatte Mr. Wilson geglaubt, dass er von Patricia Di Giovine nie wieder hören würde. Da hatte er sich geirrt. Er wurde in die chaotische Situation hineingezogen, und endlich schickten sie meinen Pass an die britische Botschaft in Mailand, wo ich ihn persönlich abholen musste. Das tat ich am 16. September. Ich bekam auch etwas Bargeld – und sofort Reisefieber. In Mailand konnte mich nun nichts mehr halten. Über mir schwebte immer noch meine Verurteilung – ich war schließlich nur wegen einer reinen Formsache auf freien Fuß gesetzt worden –, aber mir war klar, dass ich lieber ein Risiko eingehen und nach England reisen wollte, um bei Lara zu sein. Was nützte mir die Freiheit, wenn ich sie nicht mit meinem kleinen Mädchen verbringen konnte?
Am selben Tag stand mein Vater vor Gericht, angeklagt im Zusammenhang mit dem Mord, den die Mafiosi von der Camorra begangen hatten und den er und Großmutter im Jahr 1988 sanktioniert hatten. Am Tag, an dem ich meinen britischen Pass zurückbekam, wurde er für schuldig befunden. Die Aufregung machte mich ganz krank. Ich stand draußen, als sie mit ihm aus dem Gerichtsgebäude kamen, und er lächelte und winkte. Diesmal warf ich ihm eine Kusshand zu. Ich hatte keine Ahnung, wann ich ihn wiedersehen würde.
Am selben Tag stand auch Bruno vor Gericht, allerdings in einem anderen Gebäude. Er sah mich, und von seinen Lippen las ich die Frage: »Kommst du mich besuchen?« Ich schüttelte den Kopf. Ich sah die Panik in seinen Augen, denn er wusste, dass ich fortging. Er wusste, ich war draußen, er wusste, Lara war in England, er wusste, was ich tun würde. In seinen Augen sah ich diesen fürchterlich verzweifelten Blick. Aber er stand jetzt nicht mehr ganz oben auf meiner Prioritätenliste – genauso wenig wie mein Vater. Ich fand, beide hatten mich zur Genüge benutzt. Meine Tochter war jetzt die Nummer eins in meinem Leben.
Ich machte mich auf den Weg. Aber nicht per Flugzeug. Das Flugticket konnte ich mir nicht leisten. Brunos Mutter fuhr mich mit meinen wenigen Habseligkeiten, dem Bündel eines Flüchtlings, zum Mailänder Hauptbahnhof. Ein Schlafwagen im Nachtzug war zu teuer. Ich sah aus wie eine Studentin, die den Sommer über durch Europa getrampt und nun auf dem Nachhauseweg war. In einem Abteil saß ein junges englisches Pärchen, und ich setzte mich dazu. Die Beamten an der Schweizer Grenze warfen nur einen flüchtigen Blick auf unsere Pässe und glaubten, wir gehörten zusammen.
In Paris musste ich umsteigen, aber am Bahnhof gönnte ich mir erst eine Dusche. Die Zeiten hatten sich geändert; als ich ins Gefängnis ging, hatte es hier noch keine öffentlichen Duschen gegeben. Als wir mit der Fähre von Calais abgefahren waren, versuchte ich, meine Mutter anzurufen, aber
Weitere Kostenlose Bücher