Mafiatochter
seinem Leben, der ihm widersprechen durfte. Normalerweise diskutierte er solange, bis alle anderen aufgaben, doch dann machte ich einfach weiter, bis er aufgab. Wir hatten ein ganz tolles Verhältnis. Es gefiel ihm, dass ich niemals klein beigab, dass ich hartnäckig war und zu meiner Meinung stand. Ich glaube, deshalb duldete er es auch, dass die eine oder andere Meinungsverschiedenheit zu meinen Gunsten ausging. Schließlich war er es selbst, der mich dazu ermutigte, keinen Fußbreit zu weichen. Ich konnte mit ihm über Teenagerkram reden. Er warnte mich davor, nicht mit Betrunkenen im Auto zu fahren. Er sagte, wenn ich zu einer Party ginge, auf der getrunken werde, solle ich ihn anrufen, wenn der Fahrer tränke.
Ich sagte, ich würde wahrscheinlich nicht anrufen, weil ich mir keinen Ärger einhandeln wolle, wenn ich selbst getrunken hätte. Doch Papa versprach, von allen Strafen und Sanktionen abzusehen, wenn ich anrief. Er wusste, dass ich jemand war, der trotzdem trinken, aber niemals anrufen würde, weil ich wusste, dass er dann sauer auf mich wäre.
Einmal, als ich mehr als nur ein bisschen beschwipst war, beherzigte ich seinen Rat. Ich rief meine Mutter an und bat sie, mich und meine Freundin Valerie von einer Party abzuholen. Papa fand es höchst amüsant, als er sah, wie wir das Haus betraten. »Sind die etwa betrunken?«, fragte er meine Mutter. Ich hörte die Frage und sagte nein, das seien wir nicht.
»Prima, dann können wir ja noch ein wenig würfeln«, sagte er mit einem hinterhältigen Lächeln. Er wollte mich auf die Probe stellen und sehen, ob ich noch mit den Würfeln umgehen könnte. Das Werfen war kein Problem, aber es gelang mir nicht mehr, die Punkte zusammenzuzählen. Wieder einmal hatte mich Papa kalt erwischt. Obwohl er ein Vater war und mich für meine Fehler zur Rede stellte, kannte er doch auch das wahre Leben und ließ mich meine Jugend genießen, solange ich nicht völlig außer Kontrolle geriet. Er vertraute mir soweit, dass ich zwar nicht immer perfekt sein musste, aber auch vernünftig genug war, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden.
Als ich siebzehn wurde, kehrte ich eines Nachmittags von der Schule nach Hause zurück und traf meine Eltern in meinem Zimmer an. Die Schranktür stand offen und gab den Blick auf ein typisches Teenagerchaos frei. Ich wollte mich gerade für die Unordnung entschuldigen, da drückte mir mein Vater plötzlich einen Schraubenzieher in die Hand.
»Schraub’ das dritte Brett der Rückwand ab«, instruierte er mich. Dort, hinter meinem Schrank, befand sich ein Safe mit Zahlenschloss. Er enthielt zwei goldene Uhren und zwei Millionen Dollar in bar.
»Das ist für den Notfall, sollte mir oder deiner Mutter etwas zustoßen«, sagte er.
Das ist ein Haufen Geld, dachte ich, als ich die Geldbündel anstarrte. Ich stellte mir gerade vor, was ich im Einkaufszentrum davon alles kaufen könnte, als mich die Stimme meines Vaters in die Wirklichkeit zurückholte.
»Und dass du mir damit ja nicht shoppen gehst, verstanden?«, donnerte er.
Papa verstand es, sehr ernste Dinge zu sagen und sie dann mit einem kleinen Witz aufzulockern.
In jenem Jahr brach sich Gerard das Bein. Er war vierzehn, und wir hatten sein Mini-Bike vom Haus meiner Großmutter in Pennsylvania geholt. Er war nach Einbruch der Dunkelheit damit herumgefahren und von einem Auto erwischt worden. Das Krankenhaus rief bei meinem Vater an und teilte ihm mit, es habe einen Unfall gegeben, gab ihm jedoch keine weiteren Informationen. Papa war gerade bei Angelo Ruggieros Totenfeier in Howard Beach, Queens. Angelo, der Neffe des verstorbenen Gambino-Unterbosses Aniello Dellacroce, war ein Mitarbeiter von John Gotti gewesen, bevor er an Krebs starb. Nur die Männer gingen zu den Beerdigungen. Das FBI beobachtete stets die Feiern, also blieben ihnen die Frauen fern. Mein Vater ging zu John Gotti und sagte: »Ich muss gehen. Mein Sohn hat einen Unfall mit dem Motorrad gehabt.«
John bekreuzigte sich und sagte: »Oh, mein Gott, geh!«
Ruggieros Trauerfeier fand im selben Beerdigungsinstitut statt, in dem auch Johns Sohn aufgebahrt gewesen war. Sein jüngster Sohn, Frank, war neun Jahre zuvor mit seinem Mini-Bike auf die Straße hinausgeschossen und von einem Nachbarn überfahren worden. Damals war er gerade zwölf Jahre alt gewesen. Die Nachricht von Gerards Unfall erschütterte John daher sehr.
Der Typ, der mit Gerard zusammengestoßen war, wartete, bis der Krankenwagen eintraf. Meine Mutter war
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